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Robert Enke: Gebrochenes Tabu

Robert Enke: Gebrochenes Tabu

Der Suizid von Robert Enke versetzte eine sonst so stolze Sportwelt in Schockstarre. Doch sie scheint auch etwas gelernt zu haben. Autor Jannik Schneider auf Spurensuche.


„Der Tod von Lara hat uns so zusammengeschweißt, dass wir gedacht haben: ,Wir schaffen alles!‘. Wir dachten auch, mit Liebe geht das. Aber man schafft es eben doch nicht immer.“ Am 11. November 2009 sprach Teresa Enke jene bewegenden Worte, die um die Welt gehen sollten und längst nicht nur Menschen rund um den Profifußball in eine Schockstarre versetzen würden.

Lediglich einige wenige Stunden nach dem wohl schlimmsten Schicksalsschlag nahm sie auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz Mut und Kraft zusammen, um der Öffentlichkeit zu erklären, was damals nicht zu erklären war. Dass ihr Mann, Robert Enke, Nationaltorhüter und langjähriger Publikumsliebling bei Hannover 96, Selbstmord begangen hatte. Weil er an einer schweren klinischen Depression erkrankt war, die ihn aus seiner Sicht in eine schier aussichtslose Situation manövriert hatte. Der Suizid von Robert Enke ist nun schon über zehn Jahre her.

Nach Robert Enke: Wie konnte das passieren?

Teresa Enke schaffte es damals mit der größtmöglichen Empathie und ihren präzisen Aussagen, die vom behandelten Pyschiater untermauert wurden, dass die Menschen überhaupt ein erstes Gefühl für die Situation bekamen, eine erste Einordnung. Denn vielerorts, nicht nur in Enkes Wahlheimat Hannover, herrschte zunächst Ohnmacht und Hilflosigkeit im Umgang mit der Situation. Die Anhänger von Hannover 96 hatten ihr Idol verloren, Sport-Deutschland eine geschätzte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Die Frage, die sich alle stellten: Wie konnte sich ein erfolgreicher, unabhängiger Sportler das Leben nehmen?

Im Jahr 2009 war das Thema Depression keines. Es fand in der Öffentlichkeit so gut wie nicht statt. Im Leistungssport, im Profifußball war es ein Tabuthema. Viele taten Depressionen als Schwäche ab. Als Krankheit wurden Depressionen kaum anerkannt. Sensibilisierung fand wenig statt, auch weil das Thema schwer zu greifen war.

Jörg Neblung: „Psyche des Menschen ist unergründlich“

Dieser Artikel soll nicht suggerieren, dass die Krankheit heute, zehn Jahre später, enträtselt sei. Der Suizid von Robert Enke und die Entwicklung von Depressionen in der Gesellschaft im Allgemeinen und im Leistungssport im Speziellen ist noch immer ein sehr sensibles Thema. Man darf nicht ausschließlich auf das Schicksal Enkes schauen. Als Beispiel wird oft der Zugführer genannt, der Enkes Tod sah und nicht verhindern konnte. Es hilft aber, wenn man weiß, dass Enke krank war und niemand vorsätzlich schaden wollte. Die Thematik komplett zu durchdringen ist schwer und muss auch nicht der Anspruch sein, sich damit zu beschäftigen und sich und andere zu sensibilisieren aber schon. 

Robert Enkes ehemaliger Berater, Jörg Neblung, formulierte es dieser Tage in einem Interview mit dem Sportportal SPOX.com subjektiv treffend: „Die Psyche des Menschen ist tief und für mich als Laien nach wie vor unergründlich. Wenn man Roberts Geschichte so hautnah mitbekommen hat, dann kann man sich nie sicher sein.“

„Depression ist eine Stoffwechselkrankung des Gehirns“

Worüber sich Experten heute einig sind und wofür sie kämpfen, ist, dass Depressionen eine Krankheit ist und als solche anerkannt wird – wie etwa ein Bandscheibenvorfall oder eine Lungenentzündung. „Depression ist eine Stoffwechselerkrankung des Gehirns. Dort werden bestimmte biochemische Abläufe verändert“, erklärte der habilitierte Mediziner und vielfach ausgezeichnete Forscher Florian Holzboer anlässlich des zehnten Todestags in der NDR-Dokumentation „Auch Helden haben Depressionen“.

Dass diese Fehlfunktion im Gehirn als Krankheit anerkannt wird, ist essentiell für einen menschenwürdigen Umgang mit dem Thema. Es ist eine Krankheit, die man behandeln kann und nach deren Abschluss man zurückkehren kann und nach der man wieder lebensfroh und leistungsfähig sein kann. Das ist dem Umfeld von Enke besonders wichtig. Robert Enke selbst hatte das trotz der für ihn schwierigen Umstände bewiesen. Nach einer ersten schweren, klinischen Depression in seiner Zeit als noch junger Weltklassetorhüter beim FC Barcelona, während der er sich heimlich in Behandlung begab, schaffte er den Sprung zurück in einen lebensfrohen Alltag.



Die Angst

Er blieb fünf Jahre gesund. Selbst der Herztod seiner Tochter warf ihn, anders als die Öffentlichkeit später zunächst dachte, nicht mehr aus der Bahn als jeden anderen trauernden Vater auch. Teresa Enke, die ich vor zwei Jahren zu einem ausführlichen Interview treffen durfte, gab damals wie heute an, dass Robert Enke aus diesem Schicksalsschlag eine große Verantwortung für sich ziehen konnte. Menschen mit einer medizinischen Veranlagung für eine Depression müssen aber akzeptieren, dass sie im Zweifel anfälliger für Depressionen sind. 

Enke erklärte damals im Interview, dass sie und ihr Mann ein schwerwiegendes Versteckspiel mit der Öffentlichkeit spielen mussten. Robert Enke glaubte, dass er diese Krankheit verstecken müsste, sonst würde er alles verlieren. Seine Anerkennung als einer der besten Torhüter, seinen Platz in der Nationalmannschaft, bei Hannover 96 und letztlich in der Gesellschaft. Weder seine Frau noch sein Berater und enger Vertrauter Neblung gelang es, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

Die Leiden der Teresa Enke

Teresa Enke machte damals deutlich, dass sie einen einsamen Kampf führten – führen mussten. „Es gab damals einfach noch nicht diese Möglichkeiten und kein Netzwerk, das uns helfen konnte. Damals war in den Köpfen noch nicht so verankert, was psychische Erkrankungen überhaupt sind. Klar gab es vereinzelt Mentaltrainer, aber nicht beim FC Barcelona, bei Benfica oder in Hannover. Das fing erst so allmählich unter Jürgen Klinsmann in der Nationalmannschaft an, da aber mit einem leistungssportlichen Ansatz und nicht mit der Intention, Depressionen zu behandeln. Es war einfach schwierig. Wir waren komplett allein auf weiter Flur und mussten autodidaktisch vorgehen und überlegen, wie wir Hilfe bekommen können.“ 

Als die Depression im Sommer 2009 ein zweites Mal ausbrach, schoben die Enkes für die Öffentlichkeit einen mysteriösen Virus als Ausfallgrund vor. „Robert wollte unter keinen Umständen, dass es rauskommt. Also haben wir das vorgeschoben. Das Versteckspiel, das er spielen musste, das auch ich spielen musste, ging natürlich an die Nerven, denn bis auf ganz enge Freunde wusste niemand von seiner Depression. Er war oft niedergeschlagen. Ich habe dann versucht, banal ausgedrückt, 'Quatsch' zu machen, damit es nicht so auffällt. Viele, auch meine Freunde, haben gedacht, er könne sie nicht leiden. Es war einfach ein unglaublicher Kampf, diese Krankheit geheim zu halten.“

Der Vergleich mit dem Krebs

Enke betonte noch 2017, es sei immer noch schwierig, mit dieser Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. „Menschen bekommen an ihrem Arbeitsplatz gesagt: 'Komm, reiß dich zusammen', einfach weil Depressionen nicht so greifbar sind. Krebs zum Beispiel, der wird diagnostiziert, da hat man Blutwerte, sieht die Metastasen auf einem MRT. Bei einer Depression geht das nicht. Mich hat sehr erschüttert, was ich in einer Studie gelesen habe. Patienten, die Krebs und Depressionen hatten, haben darin angegeben, dass die Depression für sie schmerzhafter gewesen sei. Das erschüttert mich sehr, gerade weil ich erlebt habe, wie Robert gekämpft hat.“ 

Den Kampf hat Robert Enke bei seiner zweiten klinischen Depression 2009 schlussendlich verloren. Es fällt immer noch schwer zu begreifen, was ihn ausgerechnet in dieser Phase wieder in die Krankheit getrieben hat. Er war Nationaltorhüter, Publikumsliebling, ein glücklicher Familienvater mit einem stabilen Umfeld. Er führte ein perfektes Leben. Vielleicht war es genau das, was ihm Angst bereitete.

 „Mein Gott Robby, du hast dir alles kaputt gemacht“ 

Jörg Neblung gab dieser Tage an, dass es auch zehn Jahre später an ihm nage, sich am Ende gegen Robert Enke nicht durchgesetzt zu haben. Der weigerte sich gegen eine Zwangseinweisung – aus Angst vor den öffentlichen Reaktionen. Teresa Enke sagte in der aktuellen Dokumentation: „Aus heutiger Sicht es klar. Aber vor zehn Jahren galt es noch als Schwäche – als Tabuthema.“ Heute blicke sie mit Dankbarkeit auf die gemeinsame Zeit zurück. „Wenn ich Bilder anschaue, muss ich schmunzeln und werde auch mal traurig und denke mir: ,Mein Gott Robby, das hast du dir alles kaputt gemacht – wenn es mit Absicht gewesen wäre – aber er war krank.“

Nach dem Selbstmord, der bewegenden Pressekonferenz zog Teresa Enke zunächst weg aus Hannover. Heute lebt sie wieder dort. In den vergangenen zehn Jahren hat sie es sich mit der Robert-Enke-Stiftung zur Lebensaufgabe gemacht, das Thema Depressionen zu enttabuisieren. Gemeinsam mit hauptamtlichen Mitarbeitern lenkt se die Stiftung als Gesicht in der Außendarstellung. Die Stiftung hat bis heute ein Netzwerk von mehr als 70 kooperierenden Psyschologen aufgebaut, die für Leistungssportler und alle anderen Menschen über die Stiftung problemlos vermittelt werden

Depression ist nicht gleich Druck

Es gibt eine App, mit der man versuchen kann, sich dem Thema zu nähern, ein Gefühl für Menschen mit der Krankheit zu erhalten. Zusätzlich ist die Stiftung regelmäßig präsent in den Stadien. Robert Enkes langjähriger Freund und Biograf, der Autor Ronald Reng hält Vorträge in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesliga. An seiner Seite steht oft Martin Amedick, ein ehemaliger Profi, der 2011 seine Erkrankung öffentlich machte. Amedick hilft, zu differenzieren. Kürzlich sagte er, dass Depressionen nicht mit Druck im Leistungssport gleichzusetzen seien.

Als Beispiel dient auch hier Robert Enke. Teresa Enke und Neblung machten deutlich, dass die sportlich schwierige Lage etwa beim FC Barcelona nicht der Grund, aber ein Auslöser der ersten, akuten Erkrankung war. Die Veranlagung für eine Depression hatte er aus medizinischer Sicht schon. Als Leistungssportler im Mittelpunkt stehend war Enke mit dieser Anlage schlicht anfälliger.

„Wo bleibt die Menschlichkeit?“ 

Teresa Enke war es aber 2017 bereits ein Anliegen, dass die Historie ihres Mannes nicht mit anderen Themen vermischt werde. „Man sollte ihn und seinen Fall nicht für jede Art von Unsportlichkeit und Unmenschlichkeit hernehmen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Er wurde auch im Fußball nicht schlecht behandelt. Es kann keiner etwas dafür. Viele behaupteten ja, der Fußball sei schuld gewesen, der ganze Druck. Natürlich kann das eine Rolle spielen, aber jeder Mensch hat einen gewissen Druck im Leben. Sie bei Ihrer Arbeit, ich, jeder. Klar ist: So eine öffentliche Stellung in der Gesellschaft macht es nicht einfacher, aber trotzdem ist es nicht in Ordnung, wenn permanent behauptet wird: 'Wo bleibt die Menschlichkeit, haben wir aus dem Fall von Robert Enke nichts gelernt?' Er wurde nicht von Fans niedergemacht.“

Was bleibt neben Enkes wichtiger Öffentlichkeitsarbeit zehn Jahre nach dem Tod noch? Da wäre noch die in diesem Zusammenhang oft gestellte Frage, ob der Profifußball menschlicher, sensibler geworden ist. Jörg Neblungs Ansatz dazu ist klar: „Es hat sich sehr viel bewegt, aber es kommt auf den Blick an. Bei den Grundprinzipien des Fußballs hat sich nichts verändert: Es spielen immer noch die elf Stärksten, das Verhalten der Kurve ist nicht unbedingt positiver geworden, die Schlagzeilen des Boulevards sind immer noch dieselben und die sozialen Medien tun ihr Übriges, um die Drucksituation von öffentlichen Personen zu verstärken.“ 

Noch fehlt die Augenhöhe 

Aber die Rahmenbedingungen seien viel besser geworden: „Fußballvereine engagieren heute deutlich mehr Mentaltrainer, Sportpsychologen und Psychiater oder stellen diese Experten für den Bedarfsfall zur Verfügung. Auch mit Hilfe der Robert-Enke-Stiftung können wir Menschen Möglichkeiten an die Hand geben, wie sie sich vor depressiven Verstimmungen schützen. Hier greifen wir auf ein Netzwerk zurück, durch das wir sehr schnelle Hilfe anbieten können.

Die Sensibilität für und das Verständnis um diese Krankheit ist bei den Entscheidungsträgern in den Vereinen, aber auch in der Öffentlichkeit deutlich höher geworden.“ Das ist ein wirklich positiver Aspekt der an sich tragischen Geschichte von Robert Enke zehn Jahre nach dessen Tod. Sensibilität und Verständnis müssen auch in den kommenden zehn Jahren weiter steigen, will man der Thematik irgendwann auf Augenhöhe begegnen.

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