Robby, Christian Streich hat neulich gesagt, dass er 35.000 Zuschauer im Stadion vermisst hat. Egal, gegen wen. Hauptsache Fußball mit Fans. Wie groß ist Deine Sehnsucht?
Riesig! Wisst Ihr, wie seltsam das ist, „Tor!“ zu rufen und dann bekommst du nur den Schall des nackten Betons zurück? Wahnsinn ist das alles. Und es fühlt sich kalt an. Natürlich ziehe ich das durch. Es ist ja mein Beruf und es geht nicht darum, dass sich ein Reporter wohlfühlt. Aber ich erwärme mich an dem Gedanken, dass ich zumindest ein bisschen etwas von dem Sport nach Hause transportieren kann – zu den Menschen, die gerade nicht ins Stadion dürfen.
Fußball-Fans werden ja inzwischen leider wie Kunden behandelt. Hat die kommerzielle Fußball-Welt endlich gemerkt, dass die Fans weit mehr sind als das?
Ich denke, ja. Wir haben alle immer von der Business-Spirale gesprochen, die sich nicht ewig weiterdrehen kann. Corona hat jetzt den natürlichen Stopp gesetzt. Letztlich ist der Fußball ein Teil der Gesellschaft. Und wir sind in diesem Jahr alle etwas demütiger geworden, oder?
Sind wir das?
Vielleicht nicht Karl-Heinz Rummenigge, aber viele andere schon. Ein Ausreißer nach unten war Kölns Dominick Drexler mit seiner „Spacken“-Aussage. Nicht alle Fußball-Fans sind hoch Intellektuelle, aber wenn sich da jemand hinstellt, seine Freizeit opfert, um mit ein bisschen Fankultur die Mannschaft zu pushen, ist solch eine Aussage wahnsinnig herablassend. Ich glaube, Dominick hat etwas daraus gelernt. Und ich denke und hoffe, dass die Fan-Kultur nach der Pandemie mehr geschätzt wird. Warum wechseln denn Fußballer lieber nach Dortmund oder Köln statt nach Leipzig oder Hoffenheim? Weil sie die Stimmung im Stadion doch auch abfeiern. Ich finde auch, dass „der Fußball“ das gerade merkt.
Die Spieler spüren das Fehlen der Fans. Wie sehr hat das Deine Arbeit als Kommentator beeinflusst?
Meine Arbeit hat die Abwesenheit der Zuschauer nur geringfügig beeinflusst. Schaut mal, letztlich stehe ich auf dem Weg ins Stadion nicht im Stau. Und die Kommunikation mit meinem Team (Redakteure, Assistent, Cutter, Field-Reporter) ist sogar einfacher, weil wir uns akustisch alle besser verstehen. Ich vermisse halt die Atmosphäre. Aber letztlich ist das bei mir wie bei den Fußballern. Ich bin Profi, ich muss meine Arbeit genauso abliefern wie Erling Haaland vor leeren Rängen. Ich habe meine Aktionen letztlich auch gar nicht angepasst. Ich lasse die dritte Zeitlupe genau so frei stehen wie vor Corona. Dann ist es halt still. Trotzdem texte ich jetzt nicht mehr, um die Stille zu überspielen oder so. Ich versuche weiter, den Menschen am Fernseher auch Fußball schauen zu lassen. Manchmal rede ich sogar noch weniger, um die Anweisungen der Trainer zu hören. Die waren ja vorher nicht zu verstehen. Und so schaffe ich einen Mehrwert – indem ich nicht störe.
In welchem Stadion spürst du das Fehlen der Fans denn besonders?
Ich habe für die Sportschau Rot Weiß Essen durch die DFB-Pokal-Saison begleitet. Als RWE im Viertelfinale gegen Kiel rausgeflogen ist, dachte ich mir: Alter, wäre die Hafenstraße jetzt ausverkauft, die Spieler hätten noch mal die zweite und dritte Luft bekommen. In der ersten Runde gegen Bielefeld im August waren noch 300 Fans zugelassen. Das war irre! Die haben einen Lärm wie 3.000 gemacht. Außerdem fehlt die Atmosphäre natürlich in Köln, wo ich wohne. Beim FC ist ja bekanntermaßen die Stimmung das Beste am Stadionbesuch und die fehlt enorm.
Auch der Mannschaft?
Vor allem der Mannschaft. Köln hat doch seit Jahren keine konkurrenzfähige Bundesliga- Mannschaft mehr. Die Anhänger kaschieren da viel. Jetzt, wenn sie fehlen, wird das noch deutlicher. Ich bin mir sicher: Markus Gisdol hat sich mit seinem defensiven Anti-Fußball nur so lang im Amt gehalten, weil die Zuschauer fehlten. Ich kann mich mindestens an vier Heimspiele erinnern, bei denen die Kölner Mannschaft mit anwesenden Fans sowas von ausgepfiffen worden wäre, dass es nur so gescheppert hätte im Gehörgang.
Die UEFA sagt „the show must go on“ und hat beispielsweise diverse Champions-League-Spiele nach Budapest verlagert. Du hättest kommentieren sollen, hast aber verzichtet. Wie nahm das der Sender auf?
Mein Sender „Blue“, für den ich die Champions-League-Topspiele für das Schweizer Fernsehen kommentiere, hat saucool reagiert. Nach Budapest zu fliegen, war seit der Entscheidung, Leipzig und Liverpool dort spielen zu lassen, kein Thema für mich. Man hat mir dann angeboten, die Spiele aus der sogenannten Box in Zürich vorm Bildschirm zu kommentieren. Da aber auch dies eine unnötige Auslandsreise für mich dargestellt hätte, war das im Februar 2021 einfach kein Thema. Man hat das Spiel dann mit einem lokalen Reporter besetzt, der um die Ecke des Senders wohnt. Das fand ich top. Auch wenn ich als Freiberufler damit natürlich auf Honorar verzichte, aber Kohle ist für mich kleiner als das mutierte Virus.
Hat sich der Profi-Fußball in dieser Phase versklavt?
Nein. Wir reden hier von Berufssport. Und letztlich ist Fußball, aber auch Eishockey oder Basketball, der Job der Jungs. Die Bäckerei-Fachverkäuferin fährt ja auch weiterhin arbeiten. Dass es weiter geht, ist schon okay. Was aber spürbar ist, wie abhängig das Geschäft von den Geldern aus der Champions League ist. Ich mache den Vereinen nicht mal einen Vorwurf. Guckt mal: Gladbach hat die coronabedingten Einnahme-Ausfälle durch die Teilnahme an der Champions League komplett kompensiert. Am Ende des Tages ist es das große Ganze, das sich verändert hat. Und zwar seit der Einführung des Wettbewerbs. Auch in der Bundesliga geht es ja fast nur noch darum, wer sich für die Königsklasse qualifiziert. Das ist das neue Meisterrennen. Der Titel geht ja eh immer nach München und das auch, weil die Bayern aufgrund der dauernd generierten Champions-League- Kohle immer größer werden. Das System ist nicht gut und erzeugt das Gefälle.
Die steile Überleitung darf uns gestattet sein, aber unser Namensgeber Sócrates war ein Typ, der dem Establishment die Stirn zeigte und sagte: „So nicht!“ Fehlt heutzutage ein Sócrates?
Sócrates war einfach ein stabiler Typ! Neulich habe ich mich mit Yves Eigenrauch unterhalten. Die alte Schalke-Legende. Auch er ist ein völlig anderer Typ. Unglaublich sympathisch und auch er sagt klipp und klar: „Das ist nicht mehr mein Fußball.“ So weit gehe ich nicht, obwohl ich auch ein Fußball-Romantiker bin. Ich erfreue mich immer daran, wenn ich aus dem aktuellen Fußball- Zirkus Typen sehe, die herausstechen. Leon Goretzka zum Beispiel. Oder Ilkay Gündogan. Diese Jungs haben richtig was in der Birne.
Wir dürfen an dieser Stelle verkünden, dass wir Dich als Kolumnist für unser Magazin gewonnen haben. Wie kommst Du auf die Idee, für diese Verrückten zu schreiben?
Ich habe immer schon zu den Kleinen gehalten!
Klein? Skandal.
Sagen wir es mal so: Es gab größere Angebote, aber letztlich hat das Herz für euch verrückte Typen entschieden. Meine Agentin sagt gerade ich soll sagen: „Ich habe immer schon in Socrates-Bettwäsche geschlafen.“
Kann man übrigens auf socratesmagazin.de bestellen. Naja, erzähl mal: Wie werden die Inhalte Deiner Kolumnen aussehen?
Letztlich wie immer bei Robby Hunke: Spontane Sprüche zu klopfen, ist meine große Stärke. Aber ab und an findet auch ein blindes Huhn mal ein Korn. Den Satz müssen wir dann quer zitieren lassen und dann heißt es wieder: „Krass, der Hunke ist echt ein smarter, sozialkritischer Kerl.“
Seriöse Quellen behaupten, dass auch ein Podcast geplant ist. Kannst Du das bestätigen?
Ich gurgle schon mit Ingwer und dehne bereits meine Stimmbänder, um mich warmzumachen. Hoffen wir, dass das reicht. Neulich habe ich mich vor dem Spiel Mönchengladbach – Leverkusen, das ich kommentiert habe, beim Niesen im Halsbereich verletzt. Das wäre natürlich im Podcast der Worst Case. Aber ich habe ein gutes Physio-Team im Hintergrund.
Abschlussfrage: Du bist ja inzwischen ein Star der TV-Quiz-Shows. Wann gibt’s die Million bei Günther Jauch?
Günni, hol mich! Leider gelte ich ja jetzt als „Promi“, wie ich gelernt habe. Dann würde ich ja „nur“ zu Promi-WWM eingeladen und müsste meinen Gewinn spenden. Damn! Okay, aber letztlich würde ich sowieso bei der 500-Euro-Frage scheitern. Die Kohle spende ich dann diesem ehrenwerten Magazin.
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