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Regina Halmich: „Das ist abnormal“

Regina Halmich: „Das ist abnormal“

Regina Halmich machte das Frauenboxen in Deutschland salonfähig. Auf dem Weg dorthin wurde sie angefeindet. Wie ihr Ego das überstanden hat, erzählt sie Socrates.


 

Große Sportler haben nach der aktiven Karriere mitunter Probleme, ihre Balance zu finden. Das Adrenalin zu ersetzen. Sie sind regelmäßig als Botschafterin für soziale Projekte unterwegs oder als Moderatorin und Expertin im TV zu sehen. Würden Sie behaupten, dass Ihr Ego jetzt sogar ausgeprägter ist als zu Ihrer aktiven Karriere? 

Nein, zu meiner aktiven Zeit war mein Ego sicherlich größer. Während einer Sportlerkarriere ist dieses Selbstwertgefühl auch ganz wichtig. Ich habe ja alles dem sportlichen Erfolg untergeordnet. Als Einzelsportler spielt das Ego nochmals eine viel größere Rolle. Es dreht sich vieles um die eigene Persönlichkeit.

Aber auch für eine richtige Planung der Karriere nach der Karriere spielt das Ego doch eine nicht unerhebliche Rolle?

Das stimmt. Aber es ist nicht mehr so ausgeprägt wie damals und ausgerichtet auf maximalen Erfolg. Was natürlich nicht heißt, dass ich keines mehr habe. Ich setze es schon ein, wenn mir etwas wichtig ist.

Das Interview erschein in Ausgabe #11: Jetzt nachbestellen

Sie wurden früher aus verschiedenen Richtungen angegriffen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Bei mir war der Anfang extrem schwer. Warum muss eine Frau unbedingt boxen? Hat die nichts Vernünftiges gelernt? Das ist abnormal. Diese Rechtfertigung und Diskussion hat mich über Jahre verfolgt. Da musste ich immer konstant mit Leistung dagegenhalten. Dann nimmt man seinen Kritikern den Wind aus den Segeln. Das war meine Motivation. Eigentlich muss ich mich heute dafür bedanken, weil die Anfeindungen mich so stark haben werden lassen. Teilweise hat es mich auch verbissen und aggressiver für die Kämpfe werden lassen. Für den Sport hat es mir geholfen. Der eine zerbricht an so einer Kritik – und es gab bei mir auch schwere Momente – und der andere geht gestärkt daraus hervor. Ich bin daran gewachsen.

Das klingt nach einem starken Willen. Können Sie dennoch erzählen, was für schwere Momente das waren?

Wenn du nach einem gewonnenen Kampf blutverschmiert abgelichtet wirst und Deutschlands größte Boulevardzeitung titelt tags drauf: ‚Wollen wir das sehen?‘ Da sitzt du als junge Erwachsene zu Hause und verdrückst Tränen. Das tut weh. Aber das durfte ich nicht zeigen und stattdessen habe ich weiter hart gearbeitet. Ich habe an meinen Traum geglaubt und das ist auch etwas, was ich weitergeben kann.

Wie schwer war es denn bei diesem ganzen Gegenwind, stets das Bild der starken Frau aufrechtzuerhalten?

Einerseits war diese Einstellung ja nicht gespielt. Ich war auch immer sehr stark. Aber die Medaille hat immer auch eine Kehrseite. Momente, in denen ich nicht stark war. Das gehört, wie beschrieben, einfach dazu. Die verletzliche Seite trägt jeder in sich. Während meiner Boxkarriere habe ich aber versucht, die zu verstecken. Im Boxen verschafft man ansonsten Gegnerinnen und auch Journalisten eine Genugtuung. Daher blieben diese Momente immer im privaten Bereich unter Verschluss.

Es geht in der öffentlichen Wahrnehmung viel um Authentizität. Sie haben stets Dinge ausprobiert, die sich nur wenige getraut haben. Die viel beachteten Kämpfe gegen Stefan Raab oder die Aufnahmen für den Playboy. Haben Sie das in erster Linie für sich selbst getan oder auch, um Ihr Bild in der Öffentlichkeit zu stärken?

Also ich muss ehrlich sagen: In die Sache mit Stefan Raab, da bin ich damals regelrecht hineingeschlittert. Er hat ja nicht lockergelassen, hat mich über seine Sendung über Wochen beschimpft und provoziert und aus der Nummer bin ich letztlich nicht mehr herausgekommen, obwohl ich nicht ganz von der Sache überzeugt war. Ich wollte in erster Linie ja ernstgenommen werden für meine Sportart.

Aber Sie und das Frauenboxen haben in hohem Maße davon profitiert.

Ja, ich bereue es auch nicht. Ich hatte auch unterschätzt, welche Reichweite diese Kämpfe erzielt haben. 14 Millionen Menschen haben diesen Kampf Mann gegen Frau gesehen und anschließend sind Zuschauer bei meinen normalen, echten Kämpfen hängengeblieben und sind treue Fans geworden und ich habe diese größere Aufmerksamkeit für meine Vermarktung genutzt.

Und die Geschichte mit dem Playboy?

Das war eine bewusste Entscheidung. Mit meiner Sportart habe ich ja auch ein bisschen das Pech gehabt, eher unvorteilhaft auszusehen. Ungeschminkt, in Boxkleidung, die Haare total verschwitzt – also eben nicht schön. Ich hatte einfach Lust, auch mal meine weibliche Seite zu betonen, die ich ja auch habe, und diese auch zu zeigen. Wichtig war mir für den Zeitpunkt des Shootings, dass ich bereits eine gewisse Bekanntheit erreicht hatte. Ich war schon Weltmeisterin. Und dann habe ich mir gesagt: ‚Ich mache das jetzt einfach.‘ Ohne es mit jemanden zu besprechen oder mir die Erlaubnis zu holen. Auch diese Sache hat mir nicht geschadet. Manchmal muss man als Sportler ungewöhnliche Wege gehen. PR gehört ein stückweit dazu. 

Also würden Sie das jungen Sportlerinnen für den Erfolg empfehlen, so wie sie jungen Mädchen raten würden, Kampfsport zu betreiben?

Die Vorurteile gegenüber dem Kampfsport gibt es natürlich. Aber es sind letztlich auch nur Vorurteile. Wenn junge Frauen Lust auf den Sport haben, unterstütze ich sie selbstredend. Aber im Gegenzug würde ich auch nie einer Sportlerin raten, ‚mach jetzt erotische Fotos‘ oder ‚mach jetzt diese und jene PR-Aktion‘. Am Ende muss man auch der Typ dazu sein und sich selbst einfach treubleiben. Und nicht der Aufmerksamkeit wegen Dinge tun. Die Menschen merken, ob man nur eine Rolle spielt.

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Kevin-Prince Boateng ist viel herumgekommen. Aber inzwischen ist er auch angekommen. Bei sich selbst, bei seiner Reife. Im YouTube-Interview mit SOCRATES spricht Boateng, der derzeit bei Besiktas in der Türkei spielt, über einen Reifeprozess. Er war genervt, sagt aber auch: Heute nerve ich.

Der deutsche Boxsport hat Probleme, sein Standing als TV-Sport zu halten.

Es ist eine Vermarktungslücke gerade deutlich spürbar. Wir haben gute Boxerinnen und Boxer in Deutschland. Es fehlen die großen Sender, die übertragen. Boxen rutscht vermehrt in das Pay-Per-View und ins Internet und das finde ich schade.

Wie kann das wieder verändert werden?

Durch Titelträger. Sender wollen Verträge mit Weltmeistern und oder Quotengaranten. Davon haben wir im Moment nicht allzu viele. Es gibt auch immer mal wieder ausgezeichnete Boxer, die gewinnen alles, bringen aber keine Quoten. Da fehlt mir manchmal auch die Begründung, warum das so ist. Letztlich entscheidet das Publikum. Klar ist aber: Wenn große Sender übertragen, ist mehr Geld in der Kasse. Mit mehr Geld können bessere Gegner finanziert werden. Für wenige tausend Euro kommen keine großen Namen in die Halle. Was aber immer hilft, sind Stallduelle. Das wollen die Menschen sehen. Die Zeiten von Schulz, Maske, Michalczewski, und auch mir, mit bis zu fünfzehn Millionen Zuschauern sind leider vorbei – mit Ausnahme eines Megakampfes wie Klitschko gegen Joshua, aber davon haben wir nicht viele.

Sie selbst haben einen langen Weg hinter sich: Wenn Sie auf Ihre Anfänge im Kampfsport mit Judo zurückblicken, damals waren sie elf, zwölf Jahre alt: Waren Sie ein selbstbewusstes junges Mädchen? Wie kamen Sie zum Kampfsport?

An Selbstvertrauen hat es mir damals nicht gemangelt. Ich war, denke ich, immer schon sehr eigenständig und hatte ein gesundes Selbstvertrauen. Auf jeden Fall war ich eher nicht das schüchterne Mädchen. (schmunzelt) Am Anfang habe ich Judo wirklich nur zum Spaß gemacht, ganz klassisch. Eine Freundin hat mich zum Training mitgenommen und dann hat sich das natürlich entwickelt, bis sich irgendwann das Boxen herauskristallisiert hat. Aber ich habe das nie aus Gründen der Selbstverteidigung oder für mehr Anerkennung oder Selbstvertrauen gemacht.

Aber das Training hat Sie in jungen Jahren geprägt. Welche Erfahrungen sammeln Ihrer Meinung nach Kinder und Jugendliche in diesem Sport?

Der Sport hat mir von kleinauf so viel mitgegeben, ob das jetzt die Disziplin war, Regeln, oder Werte wie Fairplay. Das sind einfach Dinge, die wir Kindern und Jugendlichen auch 2017 immer mitgeben sollten. Gerade denjenigen, die es schwer haben. Kids aus Problembezirken, mit Migrationshintergrund. Der Sport kann diesen Kids helfen. Dort soll und ist es egal, wo jemand herkommt. Das ist ja auch ein Teil der Laureus-Philosophie und ich bin froh, dass ich da nun als Botschafterin mitwirken darf.

Dennoch gibt es ja nicht selten die Vorurteile, dass Kampfsport für Kids nicht gerade das Richtige sei.

Ich finde, genau das Gegenteil ist der Fall. Im Kampfsport bekommen Kids viele Werte vermittelt. Ich habe die Erfahrung bei meinen zahlreichen Besuchen gemacht, dass Kinder und Jugendliche, die Kampsportarten ausüben, im Alltag plötzlich viel ausgeglichener sind. Die Übungsleiter legen großen Wert auf die Vermittlung von Regeln, den Fairplay-Gedanken, dass Kämpfe nur auf Augenhöhe mit ähnlich gleichstarken Gegnern stattfinden, das Heranführen an Trainingswettkämpfe und dass es schon da keinerlei Spielraum für Foulschläge gibt, sondern alles in ganz geregelten Bahnen abläuft. Dass der Respekt im Boxsport an erster Stelle steht.

Engagieren Sie sich auch deshalb so energisch für soziale Projekte wie jetzt bei Laureus?

Wir Sportler, die viel erreicht haben, wir haben auch viel Glück gehabt. Klar haben wir uns das alles erarbeitet, aber wir sind auf der Sonnenseite des Lebens. Da ist es einfach selbstverständlich, dass ich helfe. Ich komme aus einer sozial sehr engagierten Familie. Mein Vater war vierzig Jahre Stadtbeauftragter beim Malteser Hilfsdienst und für die Caritas tätig und alle anderen waren auch sozial engagiert. Diese Vorbildfunktion habe ich mitbekommen und deswegen bin ich auch in drei, vier Projekten engagiert. An Laureus hat mich gereizt, dass der Sport im Vordergrund steht. Sport kennt keine Nationalität oder Hautfarbe. Sport verbindet. Es geht immer um eine gemeinsame Leistung.

Sagt eine der erfolgreichsten deutschen Einzelsportlerinnen. 

Es geht doch immer ums Team. Egal ob man Einzel- oder Teamsportler war und ist. Hinter einem erfolgreichen Einzelsportler steht ja auch immer ein erfolgreiches Funktionsteam, das einem den Rücken freihält. Ich mag einfach diese Sprache der Gemeinsamkeit. Wenn man etwas erreichen will, muss man es zusammen tun und teamfähig sein. Das zeichnet ebenfalls die Laureus-Projekte wie die „Kicking Girls“ aus.

Wie sind die Kinder und Jugendlichen so drauf, wenn Sie bei Projekten, wie dem Mädchen-Fußball-Turnier, auf Sie treffen? 

Das ist insgesamt eine tolle Sache und die Verantwortlichen Projektleiter machen einen tollen Job und ermutigen die Teilnehmer, eine gute sportliche Leistung einerseits abzurufen, und vermitteln andererseits die richtigen Werte. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, dass sich Jugendliche insgesamt schon weniger bewegen als zu meiner Zeit.  Das Smartphone und die sozialen Medien spielen eine sehr große Rolle, darüber findet gefühlt mehr als das halbe Leben statt.

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