Olaf Thon war ein Bundesliga-Star der 1990er Jahre. Er spielte bei Schalke 04 und beim FC Bayern und holte viele Titel. Aber wenn Thon etwas fremd ist, dann in Nostalgie zu schwelgen. Er mag den Fußball heute – nur eine Sache vermisst er sehr.
Herr Thon, es gibt dieses Klischee, dass früher alles besser war. War im Fußball früher alles besser?
Nein. Ich kann mich noch erinnern, wie brutal der Fußball war, als ich 1983 angefangen habe. Da konnte der Abwehrspieler noch von hinten übel treten, ohne dafür eine Gelbe oder Rote Karte zu kassieren. Bis auf die Ellbogenchecks finde ich den Fußball heute viel fairer. Und ich fand es auch gut, dass 1992 die Rückpass-Regel eingeführt wurde.
Dann verändern wir das Ganze und sagen: Heute ist alles besser.
Der Fußball hat sich weiterentwickelt. Das Spiel und die Spieler sind schneller geworden und sie laufen auch mehr. Ich denke, heute läuft ein Fußballer im Schnitt zwei Kilometer pro Spiel mehr, als wir es 1990 taten. Die positiven Entwicklungen reichen für mich bis zum Videoschiedsrichter.
Gefällt er Ihnen?
Ja, er macht total Sinn. Es ist eine Momentaufnahme, dass es Probleme gibt. Da stecken wir im Fußball einfach noch zu sehr in den Kinderschuhen. Wir dürfen uns dem aber nicht verschließen, sonst laufen uns die anderen Sportarten weg. Im American Football oder beim Eishockey sind sie uns meilenweit voraus. Es ist die einzig richtige Entscheidung, Technik einzusetzen. Was wollen wir denn alle? Gerechtigkeit! Wenn man 80 Prozent Gerechtigkeit herstellen kann, müssen wir das machen.
Was vermissen Sie an den 90ern?
Die elegantere Spielkleidung. Sie war enger. Vor allem die Hosen waren enger. Die Strümpfe gingen auch nicht bis zu den Knien wie heute.
Was war Ihr Lieblingstrikot damals?
Ich glaube, das Nationaltrikot. Ich finde, dass sich die Qualität extrem verändert hat. Enge Trikots tragen sie heute ja auch wieder, auch wenn die Hosen etwas weiter sind. Irgendwann gehen die Ideen aus und man kommt zurück zur Vergangenheit. Ich persönlich mag das WM Trikot von 1954, das man vorne noch zubinden kann. Das trage ich immer zu besonderen Anlässen, wie zum Beispiel bei der WM 2014.
Sind Sie der Retro-Typ?
Ja schon. Ich lebe gerne in der Vergangenheit, bin aber auch Realist und weiß damit umzugehen, nicht zu sehr in Nostalgie zu verfallen und nur an alte Zeiten zu denken. Aber noch mal zur Frage, was mir von früher fehlt: Es ist die Kommunikation von damals.
Mit wem?
Mit allen. Mit den Schiedsrichtern, innerhalb der Mannschaften, aber auch mit den Fans. Nach den Spielen durften die Fans früher auf den Platz. Wenn ich an das 6:6 gegen den FC Bayern im Jahr 1984 zurückdenke, da standen nach dem Spiel tausende Fans um mich herum, als ich das Interview gab, nachdem ich drei Tore geschossen hatte. Danach haben sie mich auf Händen getragen. Das geht heute natürlich nicht mehr, alleine schon als Sicherheitsgründen. Aber es war schön.
Wie sieht die Kommunikation heute aus?
Die sozialen Medien haben viel verändert. Da wird bei Facebook und Instagram alles gepostet; von sich selbst oder aus der Kabine. Dann gibt es natürlich die Influencer wie Cathy Hummels. Früher haben die Spielerfrauen wie bei Thomas Häßler, Bodo Illgner oder Bernd Schuster ihre Männer beraten. Heute haben sie andere Bereiche und sich da auch emanzipiert. Sehr interessant, was man da manchmal so verfolgen kann.
Ist Ihnen das fern?
Der Fußball ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Da gibt es eben alles. Ich finde es amüsant und man muss es ja nicht konsumieren, wenn man nicht will.
Können Sie sich eigentlich noch daran erinnern, wie die Resonanz auf Ihre Wechsel von Schalke zu Bayern und zurück war?
Der Wechsel zu Bayern war dem Abstieg von Schalke geschuldet. Ich hatte in München wirklich wundervolle Jahre, meine beiden Töchter kamen dort zur Welt. Dann hat mich aber Rudi Assauer 1994 zurückgeholt, auch bedingt durch viele Verletzungen. Die Resonanz war dahingehend anders, dass sich die Schalker erst an den neuen Olaf Thon gewöhnen mussten, der nicht mehr vorne die Tore macht, sondern hinten als offensiver Libero für Ordnung sorgt und Konter einleitet.
Hatten Sie einen Berater?
Eigentlich nie. Zumindest keinen Vollzeit-Berater. Als ich von Schalke zu Bayern ging, gab es auch die Optionen Italien und Spanien, da holt man sich Informationen ein. Ansonsten gab es viel väterliche Beratung von Rudi Assauer. Ich glaube, dass auch heute ein guter Anwalt vieles besser lösen kann.
Wie kann man sich das vorstellen ohne Berater? Haben Sie die Gespräche geführt?
Ja, natürlich. Vor meinem Wechsel zu Bayern habe ich mir von Assauer ein paar Zahlen geben lassen, was man so verlangen könnte. Mit diesem Wissen habe ich mich mit Uli Hoeneß, Karl Hopfner und Fritz Scherer in einem Düsseldorfer Hotel getroffen. Dann haben wir den Deal perfekt gemacht.
Haben Sie verhandelt oder waren Sie damit einverstanden, was Ihnen die Münchener vorlegten?
Das ging relativ fix. Am Ende sagte Uli Hoeneß, als wir schon längst einig waren, dass er mir die doppelte Titelprämie gibt, weil ich alleine zu den Verhandlungen gekommen bin. Das gefiel ihm. Und in dieser Phase haben wir ja auch ein paar Titel geholt und so gab es immer doppelte Prämie. Auch das ist eben Uli Hoeneß, der es einem hoch anrechnet, wenn man nicht mit dem Berater kommt, sondern sich selbst stellt.
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Die Kluft zwischen Schalke und Bayern ist zumindest sportlich in den letzten Jahren immer größer geworden. Hätte Schalke nicht den Bayern-Weg gehen können?
Schalke war ja immer wieder mal auf Augenhöhe. 2001, 2008, 2015. 2018 gab’s auch mal wieder eine Vizemeisterschaft. Aber eben nur punktuell. Schalke ist mit Schwankungen behaftet, der FC Bayern nicht. Das hat etwas mit Kontinuität zu tun. Daher hoffe ich, dass es bei Schalke mal fünf Jahre keine Wechsel auf den wichtigen Positionen im Vorstand oder im Trainerbereich gibt, so dass Ordnung herrscht. So verhindert man diese Schwankungen und kommt dann mal an Bayern oder Dortmund heran.
Mit Jochen Schneider, Michael Reschke und David Wagner startet Schalke einen neuen Versuch. Reicht es, dass Schalk mal wieder Ruhe hat, um Erfolg zu haben?
Nein, es braucht nicht mal Ruhe. Es ist völlig okay, dass Reibung herrscht, aber am Ende muss kontinuierlich gearbeitet werden.
War zu Ihrer Zeit Rudi Assauer der Typ, der die Balance gewahrt hat?
Ganz genau. Er hatte das Händchen, einen guten Trainer wie Huub Stevens oder davor Jörg Berger zu verpflichten. Man nannte ihn nicht umsonst Adlerauge, weil er billige Transfers machte, die uns aber extrem verstärkten. Ich denke an Johan de Kock, Marc Wilmots und viele andere. Er hatte aber auch die Vision, ein neues Stadion zu bauen, und hat perspektivisch gedacht.
Hätte ein Typ wie Assauer heute noch Platz in der Bundesliga?
Ja, klar. Es gibt ja auch noch einen Uli Hoeneß. Er ist immer noch eine Art Manager geblieben, auch wenn er nicht mehr im operativen Geschäft tätig ist. Man sieht heute immer noch seinen großen Einfluss.
Aber ganz frei von Kritik ist er nicht.
Ich sehe ihn nicht so kritisch.
Glauben Sie, dass mittelfristig ein Klub dem FC Bayern ernsthaft auf die Pelle rücken kann?
Es ist ja schon soweit. Borussia Dortmund war letztes Jahr schon sehr nah dran und mit den Transfers, die getätigt wurden, muss man sie als ernsthaften Konkurrenten sehen. Nicht nur die kommende Saison, sondern für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Mein Traum ist natürlich, dass Schalke auch bald wieder in diese Sphären vorstößt.
Darf man eigentlich als Bundesliga-Nostalgiker RB Leipzig mögen, Herr Thon?
Konkurrenz belebt das Geschäft und ich glaube, dass das nur der Anfang war. Sie werden viel mehr investieren und immer mehr ein fester Bestandteil der Bundesliga sein. Ich denke, dass irgendwann dann auch die Anfeindungen aufhören werden. Ich finde es sogar sehr positiv, dass sich im Osten etwas tut. Mit Union Berlin ist eine zweite Mannschaft aus dem Osten dabei. Ich drücke die Daumen, dass sie in der Liga bleiben.
Es hätte ja fast heißen können Schalke oder Union, wenn es zur Relegation gekommen wäre.
Ja, und ich glaube sogar, dass Schalke abgestiegen wäre, wenn es dazu gekommen wäre. Daher danke ich Huub Stevens, Mike Büskens und Gerald Asamoah, dass sie es geschafft haben, die Relegation und den Abstieg zu verhindern.
Sie wissen, was kommt. Wir können nicht über die 90er auf Schalke sprechen und den UEFA-Cup 1997 unerwähnt lassen. Was fällt Ihnen spontan dazu ein?
Es war der größte Erfolg meiner Karriere. Das Schönste war, den großen Pott, 15,5 Kilogramm, mit einer Hand in den Himmel zu recken und 20.000 Schalker Fans jubeln dir zu. Viele Männer haben da vor Freude geweint. Wir haben das Wunder vollbracht, weil vieles zusammengepasst hat. Es waren nicht nur Assauer, Stevens und die Mannschaft, die gut zusammengearbeitet hat, sondern auch das Team hinter uns. Ich denke da an Gerard Kuipers oder Charly Neumann.
Auf dem Weg zu einem so großen Erfolg gibt es immer wieder einen Zeitpunkt, an dem man den Glauben gewinnt, dass man den Titel holen kann. Welcher war es bei Ihnen?
Ab dem Viertelfinale konnte man davon ausgehen, dass wir gute Chancen haben. Wir hatten zwar viele Verletzte, besonders im Sturm, aber wir standen hinten gut. Wir gewannen die Spiele oft durch Standardsituationen. Deswegen gab’s auch den Spruch von Stevens: „Die Null muss stehen.“ Und wir haben uns natürlich über den Kampf definiert, vor allem dank Wilmots und Büskens, die es vorgelebt hatten, wurden wir zu den Euro-Fightern.
Heute wird Schalke von einem Euro-Fighter trainiert. Haben Sie sich auf David Wagner gefreut?
Das ist mir sogar am liebsten, keine Frage.
Interview: Fatih Demireli
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