Die Vorfreude ist riesig, die Erwartungshaltung hoch, die Herausforderung groß, der Druck enorm: Auf Julian Nagelsmann wartet bei seinem Traumverein Bayern München nach der kurzen, aber historischen Ära Hansi Flick eine Mammutaufgabe. Doch "Bedenken, da erfolgreich sein zu können, darfst du nicht haben", sagte der 33-Jährige entschlossen: "Respekt ja, aber ich bin nicht ängstlich." Er werde beim Rekordmeister am 1. Juli "in der Überzeugung aufschlagen", fügte der junge Coach selbstbewusst an, "dass ich das leisten kann".
Und es gibt viel zu tun beim FC Bayern. Noch sind einige Kaderfragen offen. Sicher ist, dass die Leistungsträger David Alaba (zu Real Madrid) und Jerome Boateng den Klub verlassen. Ein Abschied von Routinier Javi Martinez ist wahrscheinlich. Als Zugang für 42,5 Millionen Euro steht bisher nur Dayot Upamecano fest, der wie Nagelsmann von RB Leipzig kommt.
Zuletzt gab es zudem Gerüchte über einen Abgang von Niklas Süle. Weltmeister Corentin Tolisso soll auch zum Verkauf stehen, der unzufriedene Ersatztorwart Alexander Nübel vor einer Leihe. Und neue Stars sind angesichts von hohen Einnahmeverlusten, die Präsident Herbert Hainer zuletzt auf 150 Millionen bezifferte, nicht finanzierbar.
Auftrag: Nachwuchsspieler integrierenUmso mehr muss Nagelsmann seinem Ruf gerecht werden, Spieler (noch) besser zu machen. Er kenne ihn nicht gut, sagte Torjäger Robert Lewandowski in Sport Bild, "aber was ich sagen kann: Die Performance der Mannschaften liegt bei Nagelsmann meistens über den Erwartungen, über der Summe der Qualität der Einzelspieler".
Zudem soll der neue Bayern-Trainer verstärkt Nachwuchsspieler aus den eigenen Reihen integrieren, wie es zuletzt bei Jamal Musiala eindrucksvoll gelungen war. "Der Anspruch ist, den recht neuen Campus zu integrieren. Dass man Talente weiterentwickelt, war lange Zeit ein sehr guter Weg in München. Das wird sicherlich eine Aufgabe sein", sagte Nagelsmann.
Eine Aufgabe von vielen. Vor allem muss er wie Erfolgstrainer Flick die Mannschaft und insbesondere die Führungsspieler Manuel Neuer, Lewandowski, Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Thomas Müller auf seine Seite bringen. Niko Kovac hatte das nicht geschafft und deshalb einen schweren Stand.
Keine Lust auf RebereienDer ehemalige Bayern-Profi Sandro Wagner, unter Nagelsmann Spieler in Hoffenheim, ist jedoch überzeugt, dass der 33-Jährige mit den Bayern-Stars und ihren Egos gut umgehen kann - auch wenn etwa Neuer (35) älter ist als sein künftiger Trainer.
"Wichtig ist, dass du die Jungs inhaltlich abholst, sie mit ins Boot nimmst. Das macht eine moderne Führungspersönlichkeit aus. Das hat er hervorragend in den letzten Jahren praktiziert. Das wird ihm auch bei Bayern helfen", sagte Wagner in Bild. Nagelsmann sei "sehr eloquent und sehr empathisch, was das Zwischenmenschliche angeht".
Deshalb dürfte es Nagelsmann auch wichtig sein, dass es im oft sehr aufgeregten Umfeld der Bayern einigermaßen harmonisch abläuft. Auf Reibereien wie aktuell zwischen Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic, der wiederum Teile des Teams gegen sich aufgebracht hat, hat Nagelsmann keine Lust. "Ein ruhiges Arbeitsklima", betonte er bereits, "ist gut für den Erfolg."
Und der wird von ihm erwartet, nachdem Flick seit seiner Amtsübernahme im November 2019 sechs Titel geholt hat, der siebte in Form der deutschen Meisterschaft steht kurz bevor. Nagelsmann ist noch ohne Trophäe in seiner jungen Karriere. Mit Leipzig greift er nun immerhin nach dem DFB-Pokal. Bei den Bayern wäre das allenfalls der Trostpreis.
Stefan Effenberg hat ohnehin Zweifel. "Nagelsmann will Titel gewinnen. Aber es gibt einen Unterschied, ob ich Titel gewinnen will oder ob ich sie gewinnen muss", sagte er bei t-online. Nagelsmann sei "zum Erfolg verdammt. Er wird an Titeln gemessen. Diesen Druck hat Nagelsmann noch nie erlebt".
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