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John Higgins: Der letzte Akt

John Higgins: Der letzte Akt


Wie könnte sich jemand fühlen, der seit 1992 Profi ist, der alles was er gewinnen kann, schon mehr als ein Mal gewonnen hat? John Higgins verrät es bei SOCRATES. Mr. Higgins, wie fühlen Sie sich? Erschöpft… oder sollte ich doch lieber „erfahrener“ sagen? Ich bin in den Trainingseinheiten nicht mehr so produktiv wie vor zehn oder 15 Jahren. Ich habe zwar immer noch Spaß, aber ich besitze nicht die gleiche Schärfe wie früher. Zum Glück habe ich mich daran gewöhnt. Wie lange geht das schon so? Ich gebe zu, dass ich zu viele Achterbahnfahrten erlebt habe. Darf ich ein Beispiel nennen? [caption id="attachment_1744" align="alignleft" width="242"]Dieser Artikel erschien in Ausgabe #2 Dieser Artikel erschien in Ausgabe #2[/caption] Natürlich. Die Saison 2011: Ich war nicht zu sehen. Nachdem ich im Mai Weltmeister geworden war, hörte ich auf, mich auf die neue Saison vorzubereiten. Ich war die Nummer eins der Welt. Die Saison, in der ich mir extrem viel Mühe gab, um mich zu beweisen, war vorbei. Ich fragte mich selbst: „Was gibt es denn noch zu erreichen?“ Ich hatte keine Kraft, ich konnte mich nicht motivieren. Ich trainierte einmal pro Woche, höchstens zweimal. Und was ich tat, war falsch. Deshalb denke ich heute etwas anders. Der Wille zu kämpfen hält mich wach. Es heißt, dass schottische Spieler immer zusammen trainieren. Stimmt das?  Meistens treffen wir uns im Verein. Es gibt auch Tage, an denen wir zu einem von uns nach Hause gehen. Wir fangen morgens um 10 Uhr an und spielen bis ungefähr 12.30 Uhr. Danach essen wir gemeinsam. Morgens spielen wir acht bis neun, am Nachmittag zehn Frames. Meistens sind es über 19. Am Ende des Tages geht jeder seinen eigenen Weg. Stephen Hendry wird vorgeworfen, schwächer geworden zu sein, weil er nur noch zu Hause trainiert. Teilen Sie die Meinung? Ja, das ist auf jeden Fall eine der Ursachen. Stephen spielte in den 90er Jahren immer im Klub, aber er hat sich entschieden, in der letzten Periode seiner Karriere einen Tisch zu kaufen und daheim zu trainieren. Er war isoliert und da in dieser Periode nur sechs, sieben Rangturniere gespielt wurden, war es für ihn noch schwieriger. Es war O'Sullivan, der mich nach oben zog. Nach jedem Spiel, in dem ich gegen Ihn gewann, fühlte ich mich beruhigt. John Higgins Snooker-Profi Glauben Sie, dass Sie in Ihrer Karriere hätten mehr erreichen können? Sind Ihnen zwischen 1998 und 2007, als es keine Titel gab, nie Zweifel gekommen?  Ich habe eine Zeit lang darüber nachgedacht. Als ich das Finale 1998 gewann, war ich sehr jung und dachte, dass ich noch viele Jahre vor mir hätte, um diesen Erfolg zu wiederholen. 2007 war ich plötzlich 32 Jahre alt und hatte nur eine Meisterschaft in der Hand. An diesem Tag hat es bei mir geklingelt. Danach gewann ich noch drei Mal. Nach meiner letzten Meisterschaft kam sogar jemand zu mir und sagte, dass ich der einzige Spieler sei, der in drei verschiedenen Jahrzehnten den Pokal geholt habe. Ja, vielleicht war meine erste Weltmeisterschaft, in Anlehnung an Hendry, etwas Besonderes. Ich war der zweite Schotte, der das schaffte. Aber was mich nachts in Ruhe schlafen ließ, waren die Dinge, die ich 2007, 2009 und 2011 erreicht hatte. Ich durfte nicht mit nur einer einzigen Meisterschaft abtreten. Und welcher Schotte wird auf lange Sicht Stephen Hendry und John Higgins folgen? Anthony McGill? Ist Stephen Maguires Zeit vorüber?  Maguire müsste bis jetzt schon längst gewonnen haben, das ist schon mal klar. Es ist traurig, dass so ein Talent keine Weltmeisterschaft geholt hat. Was dieses Thema betrifft, sehe ich mich selbst auch als Schuldigen an, da ich im Halbfinale der Weltmeisterschaft 2007 gegen ihn gespielt und gewonnen hatte. Wenn er mich dort besiegt hätte, wäre er Mark Selby, der sein erstes Finale gespielt hatte, begegnet und dadurch wäre Maguires Chance sehr hoch gewesen. Er hat ja aber noch Chancen. Und McGill? Er schaut sich viel von Alan McManus und Maguire ab. Er lernt schnell, arbeitet unheimlich viel. Er hat kaum Schwächen. Lassen Sie uns kurz über Fußball reden. Nach dem 5:1 von Celtic schalteten viele Rangers-Fans, insbesondere Graeme Dott, ihre Handys lautlos. Vermisst Celtic den alten Konkurrenten?  Natürlich! Es macht auch nicht mehr so Spaß wie früher und deshalb hat das Old Firm nicht mehr den Reiz von einst. Graeme Dott hätte sein Handy nicht ausschalten müssen, ich hätte ihn sowieso in Ruhe gelassen. Möge Gott ihm helfen.

Ronnie wusste, dass er besser ist als ich

Zurück zum Snooker: Da soll ja das Niveau im Vergleich zu früher gestiegen sein, das sagen auch Selby oder Neil Robertson. Was meinen Sie?  In den 90ern und Anfang 2000 war die Tour ziemlich schwer. Möge Hendrys Herrschaft Sie nicht in die Irre führen: Ken Doherty, Ronnie O’Sullivan, Mark Williams, Peter Ebdon, Matthew Stevens, Paul Hunter… Dies sind die ersten Namen, die mir jetzt einfallen. Ich denke aber nicht, dass es eine gute Idee ist, die Perioden miteinander zu vergleichen. Sie sagen „In den Achtzigern war das Spiel schlecht“. Wäre Steve Davis, wenn er heute noch spielen würde, nicht auch am Gipfel? Könnte er nicht mit diesen Spielern mithalten? Oder Mark Selby… Wäre er in den 70ern, 80ern einfach weggewischt worden? Ich glaube nicht. Ist es nicht merkwürdig, dass sich ein Kind an Steve Davis ein Beispiel nimmt, wenn es so spannende Figuren wie Alex Higgins, Jimmy White gibt? Warum Davis?  Wahrscheinlich, weil er immer gewinnt. Er hatte einen Spielstil, in dem er nur sehr wenig Fehler zuließ und er kannte jeden Quadratmillimeter des Tisches. Während White und Alex Higgins auffallende Fehler hatten, schien mir Steve immer fehlerfrei. Er brauchte kein Glück, um ein Frame zu gewinnen. Davis sagt über O’Sullivan: „Es passiert nicht oft, dass ein Sportler zu einer größeren Figur als der Sport wird. Ronnie ist kurz davor, das zu erreichen.“  Ich sage jedem, der einen Rat von mir will: „Spielt immer mit Besseren als euch selbst. Es gibt bestimmt Bessere. Wenn es im Klub Spieler gibt, die ihr besiegen könnt, verlasst ihn, geht wo anders hin.“ Ronnie war besser als ich. Er ist immer mein größter Gegner gewesen, aber weil er vor mir war, musste ich nicht meinen Klub wechseln. Sie verstehen, oder? Es war Ronnie, der mich nach oben zog. Nach jedem Spiel, in dem ich gegen ihn gewann, fühlte ich mich beruhigt. Dass er immer noch spielt, ist ein großes Glück für jeden. Natürlich sehen wir auch, dass er sich die Turniere, an denen er teilnehmen wird, aussucht, dass er nicht überall hingeht und dass die Menschen die Turniere, in denen er spielt, anders betrachten. Darüber spricht Steve Davis. Aber das ist doch kein Fehler. Jeder hat das Recht, die Turniere, an denen man teilnehmen wird, zu wählen. Hat es Sie gewundert, dass er zurückgekommen ist und zwei Weltmeisterschaften gewonnen hat? Haben Sie erwartet, dass er sich so viel Mühe geben wird, Sie zu überholen?  Ronnie wusste, dass er besser ist als ich. Ich würde mich wundern, wenn er, bevor er sich entschieden hat zurückzukehren, nicht gesagt hat, „John hat vier Weltmeisterschaften, ich habe drei, ich muss ihn überholen“. Deshalb bin wahrscheinlich ich einer der Hauptgründe, warum er 2012 in die Tour zurückgekehrt ist. Jetzt sagt er, dass er nicht auf Hendrys sieben Weltmeisterschaften schielt. Aber er ist der einzige Spieler der die sieben erreichen kann.

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Wie ist ihre aktuelle Situation? Nach ihrem vierten WM-Titel 2011 sind Sie in ein Loch gefallen. War das Finale gegen Judd Trump das Ende von allem? Der Manipulationsvorwurf, die Strafe, der Tod Ihres Vaters?  Manchmal war es kaum auszuhalten. Mein Vater kämpfte fünf Jahre gegen den Krebs und starb zwei Monate vor dem Crucible-Turnier. Mir ging es schlecht, ich fühlte mich für den Tod meines Vaters verantwortlich, weil sein Zustand mit den Vorwürfen schlimmer wurde. Was mich am Leben hielt, war der Gedanke, beim Crucible zu gewinnen und meinen Vater zu ehren. Das war meine einzige Motivation. Deshalb habe ich geweint, als alles zu Ende war. Ich habe die Lautstärke in der Halle heute immer noch im Kopf. Es war die beste Atmosphäre, die ich je erlebt hatte. Wie ging es weiter?  Es war mir nicht möglich, dieses Niveau zu halten. Ich war mental kaputt. Ich musste bei meiner Familie sein und es kam mir so vor, als ob das ganze Jahr Weihnachten war. Ein ganzes Kalenderjahr verging, ohne dass ich an mir arbeitete. Snooker war vielleicht die dritt- oder viertwichtigste Sache in meinem Leben. Danach versuchte ich, mein Spiel zurückzugewinnen. Ich habe oft meinen Billardstock gewechselt. Was suchten Sie?  Etwas, was es dort nicht gab. Haben Sie es gefunden?  Ja. Seit den letzten zwei Jahren fühle ich mich hervorragend. Meinen neuen Billardstock hat mein alter Freund Raymond Cohen gemacht. Genau, wie ich es wollte. Joe Johnson sagt über Sie: „John muss endlich aufhören, seinen Billardstock zu wechseln. Er sucht Ausreden.“  Joe Johnson ist ein schlechter Kommentator. Jeder Profi, der ihn reden hört, weiß, wie erbämlich seine Kommentare sind. Manchmal denke ich mir: „Wie ist dieser Mann einst Weltmeister geworden?“ Wirklich erstaunlich. Auch wenn er in den letzten Jahren ein paar Fortschritte gemacht hat, ist er immer noch einer der Schlechtesten. Mein Billardstock und ich sind jedoch sehr glücklich. Eine schöne Zukunft wartet auf uns. Ist es jetzt also offiziell? Geht John Higgins auf die fünfte Weltmeisterschaft?  Ich werde es versuchen. Jedes Jahr wird es schwieriger, aber ich werde es versuchen. Ich bin noch nicht fertig.

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