Ich möchte euch auf eine Reise mitnehmen. Auf eine Reise in meine Kindheit. Wenn wir dort ankommen, schreiben wir das Jahr 1998. Als Zehnjähriger schaue ich zum Gipfel des 1.046 Meter hohen Berges Montejurra empor. Von dort oben hat man einen wunderbaren Blick über den Norden Spaniens.
Das weiß ich, weil ich selbst schon am Gipfelkreuz verweilt habe. Mein kleiner Heimatort Ayegui, der direkt am Fuße des Berges liegt, sieht von oben noch viel kleiner aus, als er ohnehin ist. Rund 1.000 Menschen leben hier. Ich lebe hier. Es ist einer dieser typischen Sommertage in den Ferien. Die Sonne scheint auf die Felder und lässt die Luft über dem Asphalt flimmern.
Ich schnappe mir mein Rad und fahre los, ohne ein Ziel zu haben. Oder vielleicht habe ich es doch: einfach über die Hügel dem Himmel entgegen. Es ist dieses Gefühl von Freiheit, das mich glücklich sein lässt. In diesem Moment kann ich mir kein schöneres Leben vorstellen. Ich hoffe, ihr habt ähnlich schöne Erinnerungen an eure Kindheit. Wahrscheinlich werden wir nie wieder so unbeschwert leben wie damals mit zehn Jahren.
Kein Platz für Süßigkeiten
Jetzt, 20 Jahre später, erinnere ich mich immer noch gut an diese Zeit: Einmal verließ ich das Haus mit 100 Pesetas, die ich von meiner Mutter zugesteckt bekommen hatte. Am Abend kehrte ich mit 200 Pesetas zurück. „Woher hast du das Geld?“, wunderte sich meine Mutter. Ich antwortete lediglich mit einem verschmitzten Lächeln. Keine Sorge, ich hatte das Geld nicht gestohlen.
Sagen wir mal so: Ich hatte es mir kreativ verdient. Wenn ich mit meinem Rad unterwegs war, bin ich oft zu meinen Tanten und Onkels gefahren, um sie zu besuchen. Sie haben sich immer sehr gefreut, mich zu sehen und mich gefragt, ob ich etwas brauche. „Nein, nichts. Nur vielleicht ein bisschen Geld für Süßigkeiten“, sagte ich dann. Jetzt könnt ihr erahnen, woher das zusätzliche Geld in meinen Hosentaschen kam.
Doch für Süßigkeiten habe ich es nur in den wenigsten Fällen ausgegeben. Schließlich hatte ich diesen einen großen Traum: Fußballprofi zu werden. Ja, ich habe schon damals ganz fest daran geglaubt, es wirklich schaffen zu können. Vielleicht mag es jugendliche Unbekümmertheit gewesen sein, vielleicht aber auch schon eine Vorahnung.
Rückblickend habe ich oft darüber nachgedacht: In den europäischen Top-Ligen gibt es nur wenige tausend Profifußballer, aber es gibt Millionen von Talenten, die es werden wollen. Es ist verrückt. Die Prozentzahl der Spieler, die es wirklich schaffen, ist so gering. Ich mache mir das immer wieder bewusst: Wir Profifußballer sind privilegiert.
"Du kannst dir das nicht erlauben"
Aber ich denke, dass wir uns für das Erreichte nicht entschuldigen müssen, sondern durchaus stolz darauf sein dürfen. Wichtig ist dabei nur, das Bewusstsein dafür zu haben, dass vielen anderen Menschen die Karriere nicht vergönnt war und ihnen stets mit Respekt zu begegnen. Für viele von euch klingt mein Weg sicherlich wie ein Traum. Ich denke, aus eurer Perspektive heraus würde ich es ähnlich bewerten. Aber lasst euch sagen: Der Weg zum Profi ist hart. Besonders in Teenagerjahren.
Der Teil, den die meisten Menschen nicht sehen können, ist der schwerste. Es ist der Verzicht auf Dinge, die für andere Leute völlig normal sind. Wenn du 15, 16, 17 bist und deine Freunde anfangen, Party zu machen, musst du zu Hause bleiben. Du bist außen vor, bist derjenige, der nicht dabei ist, weil er ja Fußballer werden will. Du musst morgens ins Training, danach gut essen, dich ausruhen und abends gut schlafen. Dann beginnen deine Freunde, das erste Mal mit Mädchen auszugehen.
Du erfährst von solchen Augenblicken nur aus ihren Erzählungen, du erlebst sie nicht. Du willst ja Fußballer werden. Und sagst dir selbst immer wieder: ‚Du kannst dir das nicht erlauben.‘ Es sind in diesen jungen Jahren einmalige Lebensmomente, die nicht zurückkommen. Aber nur so lässt sich die einmalige Gelegenheit nutzen, das Ziel zu erreichen, worauf du alles ausgerichtet hast. Verzicht, so schwer er auch fällt, kann dich nach vorne bringen.
Die Entscheidung für den Beruf fiel in meinem Kopf
Mit 15 Jahren war mein Beruf bereits Fußballer. Ich spielte in der dritten spanischen Liga in der zweiten Mannschaft von Osasuna. Dort trainierte ich mit Männern, die 23, 24, 25 Jahre alt waren. Ich war 15! Anfangs gab es Tage, an denen ich mich gefragt habe: ‚Was machst du da eigentlich? Ist es das wirklich wert?‘ Im Nachhinein bin ich selbst verwundert, mit welcher Klarheit und Überzeugung ich mir selbst damals antworte: ‚Ja, natürlich ist es das wert! Wenn du ein richtig guter Profifußballer werden willst, hängt es jetzt nur noch von deiner Einstellung ab, Javi.‘
Ich wusste, dass meine körperlichen Voraussetzungen gut waren. Aber die Entscheidung für den Beruf fiel in meinem Kopf. Ich habe es geschafft, den Fokus zu behalten. Meine Konzentration lag darauf, in einer guten Verfassung zu bleiben und alles auszublenden, was nichts mit dem Fußball zu tun hatte. Ja, es ist schwer, aber noch schwerer wäre es gewesen zu versuchen, das Nachtleben mit dem Fußball zu kombinieren. Ich halte es für fast unmöglich.
Um das noch mal klar zu formulieren – vor allem für Talente, die heute den gleichen Traum haben wie ich damals: Der Kopf ist genauso wichtig wie die Füße. Wenn du es wirklich schaffen willst, musst du 24 Stunden am Tag wie ein Profi leben. Wenn du im Training denkst: Hoffentlich ist es gleich vorbei, ich will noch mit Freunden was essen gehen und Party machen, dann wirst du nicht gut werden. Zumindest nicht gut genug.
Lasst mich noch ein Beispiel geben: Ich liebe es, Sport zu treiben, auch andere Sportarten in meiner Freizeit auszuüben. Nach vielen Trainingseinheiten beim FC Bayern würde ich am liebsten sofort in eine Halle fahren und dort mit Freunden Basketball spielen. Aber ich kann es nicht. Weil all das, was mich zum Profi gemacht hat, auch gilt, um Profi auf höchstem Niveau zu bleiben.
Die Regeneration ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil des Trainings. Da kann ich nicht einfach noch zwei Stunden Basketball spielen oder mich wie 1998 einfach aufs Rad schwingen und stundenlang ohne Ziel durch die Gegend fahren. So glücklich es mich für den Moment auch machen würde.
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