Der Artikel erschien in Ausgabe #5 im März 2017.
Steven war einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Spieler, mit dem ich je zusammengearbeitet habe. Ich habe ihn zum Kapitän Liverpools ernannt, obwohl er damals erst 22 Jahre alt war und Sami Hyypiä, der bereits 28 war, die Binde abgenommen. Das war ein klares Zeichen, dass er definitiv ein Ausnahmespieler, aber auch ein Ausnahmemensch ist. Ehrlich gesagt habe ich die Verantwortlichen von Liverpool damals nicht verstanden, als sie ihn in Richtung Los Angeles Galaxy im Sommer 2015 ziehen ließen. In meinen Augen wäre es besser gewesen, wenn er noch ein Jahr drangehängt hätte, vor allem als Beispiel für die jungen Spieler, die sich jeden Tag an ihm hätten orientieren können. Aber es war bereits derselbe Fall, als Michael Owen Liverpool verließ. Unglaublich!
Damals sagte mir Alex Ferguson: „Auch, wenn er nur zehn oder zwölf Spiele bestreiten sollte, ist Michael unheimlich wichtig, allein durch seine Präsenz und seine Ausstrahlung in der Kabine.“ Genau das Gleiche galt für Steve in Liverpool. Aber er hat nie geschummelt. Als er bekannt gab, dass er Liverpool verlässt, gab er offen und ehrlich zu, dass er nach den Trainingseinheiten Probleme mit der Regeneration hatte. Er war immer ehrlich und geradeheraus. Das hat mir an ihm besonders gefallen.
Spielerisch war er eine Augenweide. Er war Denker und Lenker. Wahnsinn waren vor allem seine langen Pässe, diese Präzision, diese Geschmeidigkeit und seine besondere Eleganz. Vom Feinsten. Liverpool liebte er über alles. Der Verein seines Lebens. Im Nachhinein hat er alles richtig gemacht, indem er lukrative Offerten von Real Madrid und vor allem von Chelsea nie angenommen hat. Er hat den Blues sogar mehrfach abgesagt. Er hätte auch zu Bayern München gehen können, als Pep Guardiola dort Trainer war, weil er strategisch gesehen genau dem Spielerprofil entsprach, das sich Pep von der Abwehr wünschte.
Die erste Begegnung
Liverpool und Steve, das passte aber wie die Faust aufs Auge. Als er noch jung war, hatte er einen langfristigen Vertrag unterzeichnet, was man nicht alle Tage sieht. Mit den Verantwortlichen der Reds hat er sich nur getroffen, um über das Gehalt zu sprechen. Die Verhandlungen dauerten jedes Mal nur ein paar Minuten, man war sich stets schnell einig. Es war ein blindes, gegenseitiges Vertrauen.
Hätte ich es gekonnt, hätte ich mit Sicherheit alles unternommen, um ihn zu meinen nächsten Stationen, erst zu Olympique Lyon, Aston Villa und anschließend zu Red Bull zu lotsen. Aufgrund seiner tollen Mentalität, seiner Einstellung zu seinem Beruf und seiner Willenskraft. Er war jeden Tag ein Vorbild für jeden jungen Spieler. Außerdem habe ich selten einen Spieler gesehen, der eine so hohe Spielintelligenz hat.
Das erste Mal als ich ihn sah, war er 19. Ich suchte einen Außenspieler, der über rechts kommt. Steve Heighway, ein Scout der Reds, meinte zu mir: „Lass uns das Spiel der U19 gegen die Blackburn Rovers anschauen. Ich glaube, ich hätte da jemanden für dich.“
Nach fünf Minuten sagte ich ihm, dass mir dieser Spieler nicht gefällt. Ich war fast schon auf dem Weg zu meinem Auto, als mir ein großer und dünner Mittelfeldspieler besonders auffiel: Das war er. In der ersten Halbzeit ist er von einem Strafraum zum anderen gelaufen, er hat nie aufgehört zu rennen und zu ackern, er hat pausenlos Zweikämpfe bestritten, und hatte eine unglaubliche Energie. Außerdem hat er seine Mitspieler ständig motiviert. Er hat sich nichts gefallen lassen. Nach der Pause hat Steve genau da weitergemacht, wo er nach den ersten 45 Minuten aufgehört hatte. Er war ein unglaublicher Kämpfer, der nie satt war und nie müde wirkte. In meinen Augen war er mit Abstand der Spieler des Spiels.
Wer ist hier der Boss?
Nach dieser Partie bin ich sofort auf ihn zugegangen und habe ihm mitgeteilt, dass er zum Profitraining am nächsten Tag kommen soll. Seine Antwort habe ich bis heute nicht vergessen, weil ich so dermaßen baff wurde: „Nein, nein, ich kann nicht.“ Ich war relativ irritiert, wenn nicht empört, und sagte dann: „Wie bitte? Wer ist der Boss?“ „Sie natürlich“, hat er ganz leise geantwortet. „Dann kommst du morgen, basta.“ Im Endeffekt dachte er, dass er der Akademie gehört und erst einmal um Erlaubnis bitten musste.
Ich beförderte ihn in den Kader der ersten Mannschaft und habe ihn dazu verdonnert, seine Ernährung mit sofortiger Wirkung umzustellen und sich vermehrt über Kraftübungen für den Profifußball vorzubereiten, was er diesmal ohne Murren tat, um sich Schritt für Schritt zu einem Weltklassespieler zu entwickeln.
Besonders in Erinnerung bleiben mir die Derbys gegen Everton. Das war nie ein normales Spiel, vor allem für ihn nicht, als eingefleischter Red. Das erste Derby verloren wir. Das war auch das letzte, das wir verloren haben. Nach neunzig Minuten standen wir nur noch mit acht Feldspielern da, nachdem zwei unserer Spieler die Rote Karte sahen. Aber was ich nie vergessen habe, war sein unglaubliches Tackling gegen Naysmith. Er hat ihn komplett zerlegt, aber auf die gute Art und Weise. Der Schiedsrichter gab später selbst zu, dass er ihn vom Platz gestellt hätte, hätte er die Szene richtig gesehen. Erst später bekam er vier Spiele Sperre. Aber mir sind solche Spieler wie Stevie viel lieber als die, die nie in die Zweikämpfe gehen und sich für die Mannschaft nicht zerreißen.
Er hat immer das Gefühl vermittelt, ein völlig normaler Spieler zu sein, aber er war ein Ausnahmespieler. Über ihn gibt es viele Anekdoten. Zum Beispiel, als er bei einem Sprinttest nicht unbedingt der Favorit war, aber doch der Schnellste zusammen mit Michael Owen wurde. Anschließend dachten wir, dass unseren Messgeräten ein Fehler unterlaufen war. Da hat er allerdings alles andere als beleidigt reagiert. Er fragte mit einem breiten Grinsen: „Ja, vertrauen Sie mir etwa nicht?“
Das Champions-League-Finale 2005
Wir hatten ein inniges Verhältnis, aber ich denke, dass es nachzuvollziehen ist, weil ich es war, der ihn zu den Profis hochzog und ihm zum jungen Kapitän machte. Manchmal waren wir nicht auf derselben Wellenlänge, aber er hatte einen unglaublichen Respekt vor der Hierarchie.
Drei Elemente haben mir bei ihm besonders imponiert: Erstens: der Spieler, der Leader. Weil ich noch nie einen solchen Typen wie ihn kennengelernt habe, der die Führungsstärke dermaßen verkörpert, weil schon allein durch seine Ausstrahlung und seine natürliche Autorität ein Beispiel für jeden Spieler war und jeder Mitspieler großen Respekt vor ihm hatte. Zweitens: Er wusste genau, wie man mit den Leuten reden soll. Und drittens: Seine Loyalität, die er gegenüber dem Klub und seinen Angehörigen stets hatte. viele Reden. Am besten drauf war er, wenn sein Team in Rückstand geriet. Jedes Mal hat er die richtigen Worte gewählt, um seine Elf zu ermutigen.
Das bekannteste Beispiel? Klar, das Champions-League-Finale im Mai 2005 gegen den AC Milan in Istanbul, als die Mailänder zur Pause 3:0 führten. Da hat er, wie ich später erfahren habe, auf den Tisch gehauen und seinen Mitspieler gesagt, sie sollen bloß nicht aufgeben und dass ein schnelles Anschlusstor wieder alles möglich machen würde. Genauso kam es auch. Er war gleichermaßen ein technischer Leader, ein charismatischer Leader sowie ein Leader, der sich ständig Mühe gab, seiner Mannschaft zu helfen.
Ich finde, dass er viel zu sehr unterschätzt wurde. Ich denke, dass es dazu gekommen ist, weil er seine gesamte Laufbahn beim FC Liverpool verbracht hat. Wahrscheinlich hätte auch die englische Meisterschaft daran nichts geändert. Der Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Spieler? Ein sehr guter Spieler sorgt für die Entscheidung in den wichtigsten Momenten. Als wir im UEFA-Cup-Finale im Mai 2001 gegen Alaves standen und er ein Tor erzielte, war er erst 20. 2004 katapulierte er gegen Olympiakos Piräus in der Champions-League-Gruppenphase in der allerletzten Sekunde den Ball in den Winkel. Das Tor, das das Weiterkommen garantierte. In den speziellen Momenten hatte er dieses gewisse Etwas, das nicht viele haben.
Ein großer Trainer
Ich weiß wirklich nicht, ob er den FC Liverpool mehr vermisst oder umgekehrt. Für ihn war es zweifelsohne eine sehr schwere Zeit, als er Liverpool nach so vielen Jahren verlassen hat. Dementsprechend ist es für mich überhaupt keine Überraschung, dass er so schnell als Trainer zurückgekehrt ist. Das war vorauszusehen. Es war ja nicht zu erwarten, dass ein Spieler, der solange im selben Verein war, der so viele Trophäen sammeln konnte, der sich dermaßen mit seinem Arbeitgeber identifiziert hat, gar nicht mehr zurückkommen würde.
Ich muss aber ehrlich gestehen, dass ich eher gedacht hätte, dass er erst einmal als eine Art Botschafter aktiv wird. Und ich bin restlos davon überzeugt, dass er bald ein Top-Trainer wird, weil er dafür die nötige Persönlichkeit, die Ausstrahlung und diese Vergangenheit als Spieler hat, die ihn auszeichnen und so besonders machen. Außerdem kann er das Spiel gut lesen. Schließlich ist er auch jemand, der alles andere als egozentrisch ist, er verbirgt eher seinen Stolz.
Lieber Stevie, Du kannst dir sicherlich ein Beispiel an Zinédine Zidane nehmen. Auch Zizou hat sich Zeit gelassen, bevor er einen Ausnahmeverein übernahm. Du hast Zeit zu lernen. Du musst erst einmal viel reisen, viel beobachten, viele neue Leute kennenlernen und viel aufschreiben. Du solltest bloß nichts überstürzen. Im tiefsten Inneren weiß ich aber, dass du ein ganz großer Trainer werden wirst.
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