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„Luggi Müllers Nagel kam per Post“

„Luggi Müllers Nagel kam per Post“

Elmar Kreuels sammelte einst alles, was mit Borussia Mönchengladbach zu tun hatte. Heute ist er beim Klub angestellt. Sen Jobtitel: Leiter Traditionspflege. Wie es dazu kam, erzählt er im Interview.


Herr Kreuels, wie wird man Leiter einer Abteilung mit dem Namen „FohlenWelt/ Traditionspflege“?

Im Jahr 2000 präsentierte die Borussia zum 100-jährigen Bestehen eine Ausstellung im Schloss Rheydt, und als die wieder aufgelöst wurde, suchte man einen Kurator für die vielen tollen Stücke. Ich war damals ein ganz normaler Sammler wie viele andere auch. Eher durch Zufall nahm der Verein Kontakt zu mir auf, und eines Tages traf ich mich mit Geschäftsführer Stephan Schippers und Pressesprecher Markus Aretz, um alles zu klären. Ich übernahm den kompletten Fundus von Charly Stock, unserem legendären Mannschaftsbetreuer, der über all die Jahre alles gehortet hatte.

Für einen Sammler muss das eine besondere Aufgabe gewesen sein.

Eine besonders schöne! Ich bin Jahrgang 1960 und habe die große Zeit in den 1970ern im besten Alter erleben dürfen, die Borussia hat mein Leben von Anfang an begleitet. Irgendwann fing ich damit an, das FohlenEcho zu sammeln, später dann eigentlich alles, wo eine Raute drauf war. Als wir uns 1989 ein Haus bauten, sagte ich zu meiner Frau: „Eine Bedingung: Ich bekomme ein eigenes Zimmer für meinen Sammlerkram.“ Das war ihr vermutlich nur recht. Bald wurde auch dieses Zimmer zu klein.



Und plötzlich stiegen Sie zum Archivar Ihres Lieblingsklubs auf.

Wir hatten damals zur Jahrtausendwende ein kleines Räumchen in einem Haus am Rand der Stadt, irgendwann zogen wir dann mit dem ganzen Kram in Stadionnähe. Professioneller wurde es erst nach der Eröffnung des Borussia-Parks 2004.

Und um welchen „Kram“ handelte es sich dabei?

Fast wöchentlich kamen neue Sammlerstücke dazu. Jupp Heynckes stellte uns eine seiner Torjägerkanonen zur Verfügung, von Allan Simonsen bekam ich nach viel gutem Zureden den Ballon d’Or, den er 1977 als „Europas Fußballer des Jahres“ erhalten hatte. Hacki Wimmer brachte damals meistens seine Tochter mit ins Stadion, die jedes Mal ein seltenes Trikot aus seiner privaten Sammlung trug, auch das haben wir am Ende bekommen. Von Uli Kohn bekamen wir eine Uhr, die er 1960 für den ersten Gladbacher Pokalsieg erhalten hatte, von Ulrik le Fevre die Medaille für das erste „Tor des Jahres“ 1971. Häufig sind es auch die Angehörigen, die uns nach dem Tod ihres Ehepartners oder Vaters kontaktieren, wie im Falle des 2004 verstorbenen Albert Brülls.

Wie wichtig ist der Borussia die Pflege der eigenen Tradition?

Die neue Vereinsführung hat seit 1999 sehr großen Wert daraufgelegt, vorher hat man sich nicht so sehr dafür interessiert. Es geht ja nicht nur um das Sammeln von Memorabilia, sondern auch um eine angemessene Betreuung der ehemaligen Spieler. Seit 2004 trifft sich zum Beispiel regelmäßig eine Stammtischrunde der UEFA-Cup-Sieger von 1979 am Stadion. Gerade für die Fans ist es sehr wichtig, dass sich der Verein um die alten Helden kümmert.

Seit Mai 2019 hat der Klub mit der Fohlen- Welt auch endlich ein eigenes Museum. Wie plant man so ein Projekt?

Wir sind schon vor acht, neun Jahren mit einem kleinen Arbeitskreis durch Europas Fußball-Metropolen gereist, um uns Eindrücke zu verschaffen und inspirieren zu lassen. In Deutschland haben wir vermutlich jedes existierende Fußballmuseum besucht. Wir waren natürlich in England und in Schottland, wo die Pflege der eigenen Geschichte bekanntlich eine lange Tradition hat. Sehr empfehlen kann ich die Museen vom FC Porto und Juventus Turin. Aus all diesen Erfahrungen haben wir uns das Beste rausgepickt und versucht, das in der FohlenWelt unterzubringen. Mit Erfolg, wie ich finde.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Wir sind nicht das größte, aber das modernste Fußball- Museum in Europa und präsentieren hier eine Masse an Interaktivitäten, die es in dieser Form nirgendwo sonst gibt. Mir gefällt unser spezielles Digital-Guide-System sehr. Vor dem Rundgang hat jeder Besucher die Möglichkeit, sich wahlweise von unserem legendären Stadionsprecher Rolf Göttel, Weltmeister Rainer Bonhof, Fanbetreuer Sven Körber, Joko Winterscheidt oder Christoph Kramer begleiten zu lassen. Der frühere Gladbacher Roel Brouwers erzählt auf Niederländisch, Barney Sykes als Frontmann der Fanfreundschaft zwischen der Borussia und dem FC Liverpool auf Englisch.

Der Artikel erschien zuerst in Ausgabe #41: Jetzt nachbestellen

Welchen Bezug hat die aktuelle Profi-Generation zur Geschichte des eigenen Klubs?

Christoph Kramer beispielsweise ist ein leidenschaftlicher Trikotsammler und hat uns einige tolle Stücke zur Verfügung gestellt. Tony Jantschke war schon häufiger bei uns zu Besuch, der ist ein großer Fan. Lars Stindl hat sich für den Ball, den er nach seinen drei Toren gegen den AC Florenz 2017 behalten durfte, extra ein kleines Holzgestell fürs Wohnzimmer bauen lassen. Es hat etwas Überzeugungsarbeit benötigt, aber auch der steht jetzt bei uns. Wie auch das Trikot mit der falsch herum aufgenähten Raute, das Patrick Herrmann einst trug und dann von einem Fieldreporter erst darauf hingewiesen wurde. Je länger ein Spieler beim Verein ist, desto stolzer ist er natürlich auch, wenn er selbst ein Teil der FohlenWelt ist. Das geht mir ja ganz genauso: In der Ausstellung findet sich ein Stück Rasen vom alten Bökelberg, das ich zehn Jahre lang auf der heimischen Terrasse gehegt und gepflegt habe.

Warum gehen Fußballfans so gerne in Fußballmuseen?

Neulich konnte ich einen Vater beobachten, der mit seinem etwa sechsjährigen Sohn in unserer Schatzkammer stand, wo all die Pokale und Medaillen ausgestellt sind. Irgendwann raunte der Kleine seinem Vater mit großen Augen zu: „Papa, ich sehe ja jetzt erst, was für ein großer Verein das ist!“ Selbstverständlich wäre sein alter Herr vor Stolz beinahe geplatzt. All diese Erinnerungen wecken Emotionen bei den Menschen, die ihr Herz an den Verein verloren haben. Aktuell haben wir eine Sonderausstellung über Günter Netzer, inklusive eines 19-minütigen Filmchens. Da sehe ich jeden Tag erwachsene Männer mit Tränen in den Augen rauskommen. Für die ist das eine Zeitreise in die eigene Kindheit. Wunderschön, oder?

Haben Sie eigentlich ein Lieblingsstück in der Sammlung? 

Puh, das ist sehr schwer bei 100 Vitrinen, in die überall Herzblut geflossen ist. Aber in unserer „Kammer des Schreckens“ findet sich ein Nagel, der Luggi Müller eineinhalb Jahre das Schien und Wadenbein zusammengehalten hat, nachdem ihn Roberto Boninsegna im Wiederholungsspiel der legendären Büchsenwurf-Partie so übel gefoult hatte. Den hat uns Müller vor Jahren mal zugeschickt. Per Post.

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