Am Anfang seines Protests saß Colin Kaepernick auf der Bank am Spielfeldrand, als die Nationalhymne gespielt wurde. Er schien teilnahmslos. Erst zwei Wochen später wurde er gefragt, warum er das tue. Kaepernick sagte, was er seitdem immer sagt: Er wolle protestieren gegen Rassismus und gegen Polizeibrutalität. Und nein, betonte der Quarterback der San Francisco 49ers von Beginn an, er drücke damit keinen Mangel an Respekt für die Hymne, die Fahne und das Militär aus.
Eine Woche später, am 1. September 2016, ging Kaepernick beim Vorbereitungsspiel der 49ers gegen die San Diego Chargers dann erstmals auf die Knie, genau genommen auf sein rechtes. Zuvor hatten er und sein Mitspieler Eric Reed mit Nate Boyer darüber diskutiert. Boyer, ehemaliger Football-Profi, zudem ehemaliges Mitglied einer Spezialeinheit der US-Armee und ein Weißer, war der Meinung: Zu knien sei eine respektvolle Geste, ein Zeichen friedlichen Protests.
Seitdem ohne JobKaepernick (32) ist Sohn eines Afro-Amerikaners und einer Weißen, er wurde großgezogen von weißen Adoptiveltern. "Ich weiß", sagte er nach dem ersten Kniefall, "dass meine Aktion Konsequenzen haben wird." Aber: "Ich kann nicht in den Spiegel schauen und zusehen, wie Menschen sterben, die die gleichen Chancen wie ich verdient hätten." Die Konsequenz für den Quarterback, der die 49ers im Februar 2013 fast zum Sieg im Super Bowl geführt hatte: Er hat keinen Job mehr.
Beinahe vier Jahre, zahlreiche Tote, den Mord an George Floyd und tagelange gewaltsame Proteste später begreifen immer mehr Menschen in Amerika nun, was Kaepernick ausdrücken wollte. Vom Präsidenten vielleicht abgesehen. "Wäre es nicht toll, wenn die NFL-Besitzer zu denen, die unserer Flagge keinen Respekt zollen, sagen: Runter vom Feld mit dem Hurensohn! Sofort. Raus. Er ist gefeuert!", sagte Donald Trump zu Beginn der "Take a Knee"-Bewegung. Und vermutlich denkt er weiter so.
Kevin-Prince Boateng ist viel herumgekommen. Aber inzwischen ist er auch angekommen. Bei sich selbst, bei seiner Reife. Im YouTube-Interview mit SOCRATES spricht Boateng, der derzeit bei Besiktas in der Türkei spielt, über einen Reifeprozess. Er war genervt, sagt aber auch: Heute nerve ich.
Die späte EntschuldigungKaepernick stieg im Frühjahr 2017 aus seinem Vertrag bei den 49ers aus, und es gilt längst als erwiesen, dass die National Football League (NFL) alles daran gesetzt hat, dass er keinen neuen Job bekam. Ihr Chef Roger Goodell hat sich auf Druck prominenter schwarzer Spieler, aber auch weißer Stars wie Tom Brady oder Aaron Rodgers, nun in der Tat entschuldigt: Den Umgang mit den Protesten der Spieler habe die NFL verbockt. Den Namen Kaepernick erwähnte er nicht.
Die durchaus bemerkenswerte Kehrtwende von Goodell ist vielen Spielern und Meinungsführern nicht genug. "Die NFL hat es noch immer nicht hinbekommen", sagte Malcolm Jenkins von den New Orleans Saints. So lange "sie sich nicht gezielt bei Colin Kaepernick entschuldigen oder ihn einem neuen Team zuteilen, werden sie auch nicht auf der richtigen Seite der Geschichte ankommen". Jenkins ist Mitbegründer der "Players Coalition", die das US-Bildungs- und Justizsystem reformieren will.
Auch der schwarze Bürgerrechtler Al Sharpton machte sich für Kaepernick stark. Bei der Trauerfeier für George Floyd sagte er, wer einem Mann die Lebensgrundlage nehme, der sollte vier Jahre später nicht einfach mit einer "leeren Entschuldigung" davonkommen. "Entschuldigt euch nicht", donnerte Sharpton: "Gebt Colin Kaepernick seinen Job zurück."
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