Wir standen mit Ihnen, Nadia Comăneci und Edwin Moses im selben Aufzug. Wir waren auf dem Weg zu einem Medientermin und Sie sagten: „Jetzt dürfen wir die gleichen Fragen zum millionsten Mal beantworten.“ Welche Frage haben Sie am meisten gehasst, Herr Bubka?
Ich weiß es nicht. Ich konnte es nie leiden, wenn meine große Liebe für diesen Sport mit den Weltrekorden in Verbindung gebracht wurde. Sie wissen schon: immer Zentimeter für Zentimeter wegen des Geldes. Das ist einfach nicht wahr. Ich kam als Zehnjähriger zu dieser Sportart und wusste … gar nichts! Ich kam, weil ich den Sport liebte. Und die Rekorde habe ich aufgestellt, weil ich der Beste sein wollte, weil ich etwas Außergewöhnliches schaffen wollte. Soll ich Ihnen eine lustige Frage verraten, die ich manchmal gestellt bekomme?
Unbedingt.
Manchmal werde ich gefragt, warum ich mich für den Stabhochsprung entschieden habe. Ich habe mich aber gar nicht dafür entschieden, denn ich kannte die Sportart gar nicht, als ich damit anfing. Es war die Entscheidung meines Nachbarn, der drei Jahre älter war als ich. Er war 13, ich war zehn. Er erkannte ein Talent in mir und überzeugte seinen Coach davon, dass er mich mit zur Trainingsgruppe bringen durfte. Der Trainer sagte dann: „Wie alt ist der Junge?“ Mein Freund sagte: „Zehn.“ Der Trainer: „Zu jung, er kann in zwei Jahren wiederkommen.“ Mein Freund: „Nein Trainer, er ist so gut. Er muss mitmachen.“ Mein Freund wusste, was ich konnte, weil wir in unserer Freizeit immer Fußball auf der Straße spielten oder umher rannten.
Also hat er für Sie entschieden.
Ja, er war das, nicht ich. Schicksal würde ich sagen. Das war Schicksal.
Und der Trainer war auch glücklich, nehme ich mal an.
Er ist der einzige Coach, den ich je hatte. Wissen Sie, alle Erfolge haben wir gemeinsam erreicht. Von meinen Anfängen bis zum Olympiasieg, den vielen Weltrekorden, alles haben wir gemeinsam gemacht. Mein erster und einziger Coach.
Das nennt man wohl Loyalität.
Er war ein guter Trainer, ein erstklassiger Trainer.
Und was ist mit Ihrem Nachbarn? Sind Sie immer noch befreundet?
Er ist immer noch in der Gegend in der Ukraine. Ich habe ihn lange nicht gesehen, weil ich viel auf Reisen bin.
Das waren also zwei Themen, über die Sie nicht so gern sprechen.
Manchmal.
Vor welcher Frage, die ich stellen könnte, hätten Sie denn Angst?
Ich kann auf alles antworten. Fragen Sie nur.
Sie haben für das IOC und die IAAF in unruhigen Zeiten gearbeitet. Gibt es denn keine wirksame Strategie gegen die Dopingproblematik?
Lassen Sie uns realistisch sein. Athleten sind wie alle anderen Menschen auch auf diesem Planeten. Manche halten sich an die Regeln, andere verletzen sie. Manche fahren 100 Stundenkilometer schnell, andere 200, auch wenn sie das gar nicht dürfen. Es gibt ein rotes Licht und ein grünes; wir wissen, wann wir über die Straße gehen dürfen. Aber es gibt auch im Sport keinen hundertprozentigen Schutz vor Leuten, die betrügen. Wir entwickeln die Regularien weiter und werden stärker. Wir schulen die Athleten. Ich bin der Vorsitzende der „Entourage Commission“ beim IOC. Wir bilden die Trainer, die Eltern, die Berater und die Ärzte weiter. Wir als Ausschuss denken auch über Sanktionen für Leute aus dem Umfeld des Athleten nach. Das Problem besteht und wir tun unser Bestes, um den Sport sauberer zu machen und die sauberen Athleten zu schützen. Wenn manche betrügen, heißt das ja nicht, dass alle Betrüger sind. So fair müssen wir sein. Und wir müssen die Regeln achten.
Und Regeln verändern sich ja stetig.
Natürlich, das System wird besser. Wir werden besser.
Aber es ist nicht wie beim Vergleich mit der Ampel, wo man sich darauf verlassen kann, dass das rote Licht immer rot ist.
Das stimmt, aber das IOC initiiert eine unabhängige Doping-Agentur, auf die niemand Einfluss nehmen wird. Diese ist zum Schutz der Athleten da, nur um das klarzustellen. Die Sportler sollen auch in den Prozess eingebunden werden, dafür gibt es die Athletenvereinigung. Und es gibt das Athletenforum mit Sportlern aus aller Welt, in dem über viele Themen diskutiert wird – und eines davon ist natürlich Doping.
Das Interview erschien zuerst in Ausgabe #32: Jetzt nachbestellen
Was halten Sie von Shooting-Star Armand Duplantis? Glauben Sie, er kann der Beste aller Zeiten werden?
Er kann das schaffen, sein Potenzial ist gewaltig. Was er bislang erreicht hat, ist schon großartig. Die Frage ist nun, wie er weitermacht, wie er seine Möglichkeiten nutzt. Er kommt aus einer Sportlerfamilie und hat schon mit sechs Jahren angefangen. Letztes Jahr hatte er tolle Ergebnisse, das hat mir imponiert. Ich wünsche ihm viel Glück und Erfolg.
Was macht den Erfolg aus? Glauben Sie, bei Ihrem Nachfolger als Weltrekordler, Renaud Lavillenie, steckte der Teufel im Detail, so dass er noch nie Weltmeister wurde?
Alles ist menschlich. Manchmal ist es einfach nicht dein Tag, manchmal ist der Druck zu groß. Manchmal machst du in der Vorbereitung zu viel und bist blockiert. Auch Spitzensportler sind nur Menschen und das ist ja das Tolle daran. Er ist ein großer Athlet. Aber es müssen eben auch alle Puzzleteile zusammenpassen.
Michael Phelps hat 23 Mal Gold bei Olympischen Spielen und 26 Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften gewonnen. Aber er hatte auch mit Depressionen zu kämpfen und dachte daran, sich das Leben zu nehmen. Über die Hintergründe spricht er im Interview. Auch darüber, dass er heute ein glücklicher Rentner ist. SOCRATES traf den besten Schwimmer der Geschichte in Baltimore.
Erzählen Sie uns mehr über diese Teilchen und darüber, wie man sie zusammenfügt.
Das ist ein tagtäglicher Prozess. Im Idealfall braucht man vielleicht zehn bis 15 Jahre von den Anfängen bis an die Spitze. Man braucht hervorragende Trainer, eine hervorragende Ausbildung und ein gutes Team um sich herum. Die wichtigsten Zutaten sind aber das Talent und die Fähigkeit, zu lernen. Wissen von anderen Menschen aufzusaugen, ist vielleicht die größte Kunst, die Athleten beherrschen sollten.
Ich habe das Gefühl, dass diese Fähigkeit vielen Athleten heutzutage fehlt. Sie wirken oft sehr selbstreferenziell.
Deshalb sind die Trainer und das Team so wichtig. Wenn du aufwächst, weißt du erstmal gar nichts. Jemand muss dir etwas beibringen. Wenn du in dem Glauben lebst, alles zu wissen, wird’s gefährlich, dann ist die Karriere vielleicht vorbei. Hat nicht Sokrates gesagt: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“? Man muss jeden Tag lernen.
Unser Magazin heißt SOCRATES. Wussten Sie das?
Wirklich? Das wusste ich nicht, aber das muss schon wieder Schicksal sein. Ich beende das Interview mit Ihnen mit einem Sokrates-Zitat. Wer hätte das gedacht.
Das ist schon verrückt, ich habe aber noch ein paar Fragen. Ich frage eigentlich jeden Athleten, mit dem ich spreche, für welche andere Sportart er sich auch begeistert. Welche wäre das bei Ihnen?
Ich mag jede Menge Sportarten: Fußball, Tennis, Turnen. Als Kind war ich sehr gut im Turnen. In meiner Vorstellung hätte ich in verschiedenen Sportarten viel erreichen können, wenn ich einen guten Trainer gehabt hätte. Mein Sport ist aber perfekt für mich gewesen.
Haben Sie ein Idol? Welcher Sportler hatte den größten Einfluss auf Sie?
Einer meiner Helden war Wiktor Sanejev. Er war Dreispringer und wurde Olympiasieger 1968, 72 und 76. 1980 gewann er Silber. Er stellte auch mehrere Weltrekorde auf. Wiktor Sanejev und Bob Beamon würde ich sagen.
Auf allen Endgeräten verfügbar: Das ePaper von SOCRATES
Diese Website verwendet Cookies – nähere Informationen dazu und zu Ihren Rechten als Benutzer finden Sie in unserer Datenschutzerklärung am Ende der Seite. Klicken Sie auf „Ich stimme zu“, um Cookies zu akzeptieren und direkt unsere Website besuchen zu können.
Weitere Informationen OK